Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit: Zugang zu Verhütungsmitteln in den Niederlanden
In den Niederlanden sind die Nutzungsraten moderner Verhütungsmittel und -methoden (natürliche Methoden sind hier ausgenommen) relativ hoch. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass fast 62 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter (18 bis 49 Jahre), die schon einmal Geschlechtsverkehr hatten, Verhütungsmittel verwendeten. Die Pille wird am häufigsten genutzt (30 %), die Spirale (Intrauterinpessar; IUD) von 17 Prozent der Befragten. 8 Prozent aller sexuell aktiven Frauen, die nicht schwanger waren und sich auch kein Kind wünschten, hatten nicht verhütet und so eine ungewollte Schwangerschaft riskiert (Wijsen/de Graaf 2017). Eine Umfrage unter Jugendlichen unter 25 Jahren zeigte außer dem, dass 94 Prozent der Mädchen beim ersten Sexualkontakt verhütet hatten, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Vier von fünf jungen Menschen hatten mit ihrem letz ten Partner oder ihrer letzten Partnerin Verhütungsmittel angewendet (de Graaf et al. 2017).
Verfügbarkeit
In den Niederlanden sind Kontrazeptiva traditionell leicht verfügbar. 1964 brachte die niederländische Firma Organon die Antibabypille heraus. Seit den 1960er-Jahren wurden weitere Versionen der Pille eingeführt, gefolgt von der Spirale (1980er-Jahre), Hormonimplantaten, Hormonspritzen, Frauenkondomen, Notfallkontrazeptiva (Pille danach, 1990er-Jahre) sowie hormonellen IUDs, Vaginalringen, Hormonpflastern und weiteren Implantaten (2000er-Jahre).
Außer für Kondome und die Pille danach ist für alle Verhütungsmittel eine Verschreibung von Hausarzt oder -ärztin (GP), Gynäkologe/Gynäkologin oder einer Hebamme erforderlich. Seit 2015 können auch Hebammen Verhütungsmittel verschreiben, und ab 2018 wird der Austausch von Implantaten oder Spiralen von der Krankenversicherung erstattet. Zu 90 Prozent wenden sich junge Menschen unter 25 zur Verschreibung und zum Austausch von Kontrazeptiva an Hausarzt oder -ärztin (de Graaf et al. 2017). Sterilisationen und Vasektomien werden grundsätzlich in Krankenhäusern der Abtreibungskliniken durchgeführt. Kondome für Männer sind in Apotheken, Drogerien, Supermärkten und Automaten in Bars, an Veranstaltungsorten sowie online weithin verfüg bar. Seit einigen Jahren ist auch das Frauenkondom sowohl online als auch offline bei Kondomerien und Drogerien zu bekommen. Die Notfallpillen Norlevo (seit 2005) und Ella One (seit 2015) gibt es rezeptfrei in Apotheken oder Drogerien. Außer ggf. bei medizinischen Kontraindikationen gibt es keine Alters beschränkungen beim Bezug von Verhütungs mitteln; Jugendliche unter 16 Jahre müssen allerdings eine Einverständniserklärung der Eltern vorlegen, es sei denn, das Einholen einer solchen Erklärung wäre mit besonderen Härten verbunden. Für Jugendliche, die 16 Jahre oder älter sind, ist das Einverständnis der Eltern nicht mehr notwendig. Der Hausarzt bzw. die Ärztin unterliegt der Schweigepflicht. Jungen Menschen wird verantwortungsvolles Handeln zugetraut und sie haben ein generelles Recht auf Vertraulichkeit.
Bezahlbarkeit und Kosten
Das Gesundheitssystem und die Krankenkassen wurden 2008 in den Niederlanden umfassend reformiert. Anstelle eines auf dem Einkommen basierenden und für niedrige Einkommensgruppen besonders günstigen Versicherungssystems entschied sich das Parlament für eine Grundversicherung. Je nach Versicherungsgesellschaft liegt der monatliche Beitrag zwischen 90 und 120 Euro. Die primäre Gesundheitsversorgung (Hausärzte/-ärztinnen, Hebammen), Medikamente und Behandlungen sind für die niederländische Bevölkerung kostenfrei, allerdings muss jährlich ein Mindestbeitrag von 385 Euro (Stand 2017) selbst getragen werden. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass eine persönliche Zuzahlung die Betroffenen im Umgang mit Medikamenten und medizinischen Dienstleistungen kostenbewusster und zurückhaltender machen würde. Seit 2011 werden jungen Menschen bis 21 Jahre die Kosten für moderne Kontrazeptiva im Rahmen der Grundversicherung erstattet. Kondome, Diaphragmen und Sterilisationen werden von ihr nicht getragen. Wegen des gesetzlich vorgeschriebenen Eigenbeitrags bezahlen gesunde junge Menschen, die keine weiteren Medikamente und Behandlungen brauchen und daher die 385 Euro nicht ausschöpfen würden, ihre Verhütungsmittel aber meist selbst. Die Kosten für die Pille liegen zwischen 20 und 60 Euro jährlich. Die Beratung und Untersuchung durch Hausarzt, Hausärztin oder eine Hebamme ist kostenfrei. Der Austausch von (Kupfer-)Spiralen oder Implantaten ist für junge Menschen unter 21 Jahren ebenfalls im Rahmen der Krankenversicherung kostenlos. Frauen und Männer über 21, die ihre Verhütungsmittel nicht selbst zahlen möchten, brauchen eine Zusatzkrankenversicherung.
Abb.1 Derzeitige Verhütungsmethode (in %, Mädchen mit Geschlechtsverkehr)
Besonders gefährdete Gruppen
Die Datenlage in den Niederlanden reicht nicht für den Beleg der These aus, die Kosten für Verhütungsmittel beeinflussten maßgeblich deren Verwendung. Nur 2 Prozent der an der Umfrage Teilnehmenden erwähnten die Kosten als Haupthindernis bei der Wahl eines Verhütungsmittels. Andere Gründe waren ein geringes Risikobewusstsein, medizinische Gründe, Angst vor Nebenwirkungen, fehlende Erlaubnis zur Verwendung von Verhütungsmitteln und so weiter. Das höchste Risiko für ungeplante Schwangerschaften scheint für religiöse Gruppen zu bestehen (Wijsen/de Graaf 2017). Den Statistiken zu Schwangerschaftsabbrüchen zufolge gaben zwei Drittel der jenigen, die sich für einen Abbruch entschieden, an, in den letzten sechs Monaten vor der Schwangerschaft verhütet zu haben (mit Pille oder Kondom); es habe aber Anwendungsfehler gegeben oder die Methode habe versagt. Unklar ist, wie viele der Frauen mit geringem Einkommen, die eine Schwangerschaft abbrachen, nicht verhütet hatten (Twisk/Wijsen 2016). Was die ethnische Herkunft betrifft, scheinen Frauen aus Surinam, der niederländischen Karibik und den Subsahara-Staaten Afrikas das höchste Risiko für ungewollte Schwangerschaften und Abbrüche aufzuweisen. Es ist unklar, ob das Einkommen dabei eine Rolle spielt, da dies mit Rücksicht auf den Datenschutz nicht erhoben wurde. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Menschen mit niedrigem Ein kommen sich eine Zusatzversicherung nicht immer leisten können und deshalb die Verhütungsmittel selbst bezahlen müssen. Mancherorts können Menschen, die arbeitslos sind oder nur ein niedriges Einkommen haben, von der Kommune eine Kostenerstattung erhalten.
2016 begann in zwei Städten (Tilburg und Rotterdam) ein Projekt mit Verhütungsberatung für die am stärksten gefährdeten Frauen/Mütter mit Mehrfachbelastungen (multiproblem background), geistiger Behinderung, Suchtproblemen oder psychiatrischen Störungen. Im Rahmen dieses Projekts1 ist auch die Erstattung von Kontrazeptiva vorgesehen. Mehr Forschung ist notwendig, um tiefere Einblicke in die Gründe für die Nichtverwendung von Verhütungsmitteln zu be kommen, insbesondere auch im Hinblick auf die Frage, welche finanziellen Überlegungen dabei eine Rolle spielen.
Fußnoten
1 www.ggdhvb.nl/professionals/over-de-ggd/programma-nu-niet-zwanger
Innerhalb der nächsten drei Jahre wird das Programm »Nu niet zwanger« in allen Regionen der Niederlande implementiert werden.
Literatur
Graaf, H. de; Nikkelen, S.; Van den Borne, M.; Twisk, D. & Meijer, S. (im Druck). Seks onder je 25e: Seksuele gezondheid van jongeren in Nederland anno 2017. Delft: Eburon.
Hehekamp, L. & Wijsen, C. (2016). Landelijke abortusregistratie 2014. Utrecht: Rutgers.
Twisk, D. & Wijsen, C. (2016). Landelijke abortus registratie 2015. Utrecht: Rutgers.
Wijsen, C./de Graaf, H. (im Druck). Volwassenmonitor seksuele gezondheid anno 2017. Utrecht: Rutgers & RIVM.
Alle Links und Literaturangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.
Ineke van der Vlugt
Ineke van der Vlugt ist Programm Managerin am Rutgers-Zentrum für sexuelle Gesundheit in den Niederlanden. Seit 2018 ist sie für die Themenfelder Kontrazeption und Schwangerschaftsabbruch verantwortlich.
Alle Angaben zu Autorinnen und Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.
Herausgebende Institution
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
Artikel der Gesamtausgabe
- Geringes Einkommen, Sozialleistungsbezug und Verhütung
- Selbstbestimmt verhüten
- Kostenfreier Zugang zu Verhütungsmitteln und Auswirkungen auf das Verhütungsverhalten
- Pille danach rezeptfrei erhältlich – und jetzt?
- Wer soll das bezahlen?
- Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit: Zugang zu Verhütungsmitteln in den Niederlanden
- Schwangerschaftsverhütung
- Infothek - Ausgabe 2/2017