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FORUM 2–2017

Schwangerschaftsverhütung

Welchen Zugang haben Asylsuchende in der Schweiz?

In der Schweiz werden die Kosten für Verhütung nicht von der obligatorischen Krankenversicherung vergütet. Auch die staatliche Sozialhilfe übernimmt diese Kosten nicht generell. Selbst für Asylsuchende gibt es keine einheitliche Regelung: Wie eine Erhebung von Sexuelle Gesundheit Schweiz zeigt, existieren große Unterschiede zwischen den Kantonen in der Art und Weise, wie Asylsuchende bei Wunsch nach Schwangerschaftsverhütung unterstützt werden.

Bei der Verhütungsfinanzierung gibt es in der Schweiz keinen Unterschied zwischen Schweizerinnen und Ausländerinnen: Verhütung wird gemäß Krankenversicherungsgesetz (KV) nicht vergütet und muss selbst bezahlt werden. Für Frauen mit niedrigem Einkommen, für junge Frauen und für Asylsuchende gelten dieselben Grundbedingungen. Dies ist für Frauen und Familien mit kleinem Budget problematisch, da sie dringend notwendige Ausgaben abwägen müssen: das sichere, aber teure Verhütungsmittel oder die Winterschuhe für die Tochter?

Sozialhilfe in der Schweiz

Frauen und Familien mit Migrationshintergrund sind in der Schweiz übermäßig von prekären Arbeits- und Lebensbedingungen betroffen. Dies zeigt sich auch in der Statistik zur Sozialhilfe: Im Jahr 2015 haben insgesamt 265 626 Menschen staatliche Sozialhilfe bezogen (Sozialhilfequote 3,2 %). 47 Prozent der Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher haben keinen Schweizer Pass. Das Sozialhilferisiko für Personen mit ausländischer Herkunft ist also deutlich höher als für Schweizerinnen und Schweizer: 6,2 Prozent gegenüber 2,2 Prozent (Bundesamt für Statistik 2017).

Armutsbetroffene Personen, die als anerkannte Flüchtlinge Asyl und damit ein Bleiberecht erhalten haben oder als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen wurden, erhalten die gleichen Leistungen wie einheimische Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher. Hingegen werden Menschen in einem hängenden Asylverfahren sowie vorläufig aufgenommene Personen deutlich weniger unterstützt. Abgewiesene Asylsuchende haben überhaupt keinen Anspruch auf Sozialhilfe, sondern bekommen ausschließlich Nothilfe.1

Keine Übernahme von Verhütungsmitteln durch die Sozialhilfe

Da in der Schweiz Verhütungsmittel nicht von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen werden, zählen Spirale oder Pille bei den Sozialhilfebehörden als »nicht kassenpflichtige Medikamente«. Diese müssen grundsätzlich über den sogenannten Grundbedarf selber finanziert werden. Allerdings ist es möglich, dass solche Kosten als »situationsbedingte Leistungen« übernommen werden, wenn dies mit Blick auf den konkreten Fall »sinnvoll, nutzbringend und aus gewiesen« ist. Laut Auskunft der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) besteht denn auch vielerorts die Praxis, dass die Kosten für Verhütungsmittel von der Sozialhilfe zusätzlich übernommen werden. Gemäß SKOS verfügen die Sozialdienste diesbezüglich über einen Ermessensspielraum, es besteht jedoch kein Anspruch auf Kostenübernahme. Dies öffnet das Feld für Ungleichheiten zwischen den Kantonen, da die Frage der Kostenübernahme für Verhütungsmittel pro Kanton oder Gemeinde unterschiedlich gehandhabt wird.

Finanzierung von Verhütungsmitteln bei Asylsuchenden in Bundesasylzentren

Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz haben, wie jede in der Schweiz wohnhafte Person, Anrecht auf medizinische Grundversorgung nach den Regeln des Krankenversicherungsgesetzes KVG (Bundesgesetz über die Krankenversicherung; SR 832.10). Verhütungsmittel sind jedoch wie bereits erwähnt nicht im Leistungskatalog des KVG enthalten. Laut dem Staatssekretariat für Migration SEM übernehmen die Asylbetreuungsorganisationen die Kosten für Verhütungsmittel, wenn diese ärztlich verschrieben sind und solange sich die Asylsuchenden in der Obhut von Bundesasylzentren befinden. Für Asylsuchende, die im Verlauf des Asylverfahrens in kantonale Asylunterkünfte überführt werden, gelten abhängig vom Kanton unterschiedliche Regelungen.

»Finanzierung von Verhütung« – ein Projekt von Sexuelle Gesundheit Schweiz

Die höhere Armutsbetroffenheit und die dadurch fehlenden finanziellen Ressourcen von Migrantinnen und Migranten für die Finanzierung von Verhütungsmitteln zeigten sich auch in einem Projekt von Sexuelle Gesundheit Schweiz (SGCH). Eine einmalige private Spende ermöglichte den Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit und Familienplanung, Gesuche zu stellen, um Frauen, Männer und Jugendliche in sozial oder finanziell schwierigen Situationen bei der Finan zierung einer Verhütungsmethode zu unterstützen. Mehr als die Hälfte der knapp 60 Gesuche betrafen Frauen oder Fa mi lien mit Migrationshintergrund. Fast alle wünschten sich eine langfristige sichere Verhütungsmethode (SGCH 2017). Das Projekt wurde im Februar 2017 abgeschlossen.

Asylsuchende auf kantonaler Ebene: große Unterschiede

Sexuelle Gesundheit Schweiz stellte als Dachorganisation der Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit und Familienplanung 2015/16 einen Anstieg an Beratungsdienstleistungen gegenüber Asylsuchenden und einen erhöhten Bedarf an Schulungen und Weiterbildungsmöglichkeiten sowohl für die Betreuungspersonen wie auch für die Asylsuchenden fest. Aus diesem Grund hat die Stiftung die Kantone anlässlich des Weltverhütungstages 2016 aufgefordert offenzulegen, wie der Zugang von Asylsuchenden zu Verhütung, Beratung und Verhütungsmitteln geregelt ist. Sie hat dazu auf gerufen, den Zugang zu verbessern und Asylsuchende zu unterstützen, ihr Grundrecht auf Entscheidungsfreiheit in Bezug auf ihre reproduktive Gesundheit wahrzunehmen. Drei Viertel der Kantone haben auf diese Umfrage geantwortet.

Laut dem Bericht zur Umfrage (SGCH 2017) stehen Asylsuchenden, die in kantonalen Asylsunterkünften leben, Kondome in der Regel kostenlos oder zu einem niedrigen Preis zur Verfügung. Weiter werden hormonelle Verhütungsmittel und Kupferspiralen aufgeführt, welche am häufigsten zur Schwangerschaftsverhütung verwendet werden. Aus diesem Bericht wird deutlich, wie unterschiedlich die Kantone Asylsuchende beim Zugang zu Verhütungsmitteln unterstützen. Das Spektrum ist breit: Manche Kantone übernehmen die Kosten, wenn die Verhütungsmittel ärztlich verschrieben wurden, andere beteiligen sich nicht daran. Dies führt zu der bereits erwähnten Ungleichbehandlung. Eine Herausforderung sind laut Bericht auch die richtigen Ansprechpartner, die das Thema professionell, neutral, mit der richtigen Distanz und den neuesten Erkenntnissen angehen. Die Hemmschwelle sei groß, in der Asylunterkunft über tabuisierte Themen wie Sexualität und sexuelle Gesundheit zu sprechen, wurde von einigen Kantonen in ihrer Antwort festgehalten. Manche Asylunterkünfte arbeiten daher eng mit den Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit zusammen.

Gesundheitsversorgung von Frauen und ihren Säuglingen in Asylunterkünften

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Berner Fachhochschule zur sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung von Frauen und ihren Säuglingen in Asylunterkünften in der Schweiz bestätigt, dass der Zugang von asylsuchenden Frauen zu sicheren Verhütungsmitteln oft schwierig ist (Cignacco 2017). Zwar stünden gemäß Auskunft der Interviewpartnerinnen in allen Asylunterkünften niedrigschwellig kostenlose Kondome zur Verfügung. Diese stellten jedoch eine Verhütungsform dar, die die Frauen im Bereich der sexu ellen und reproduktiven Gesundheit primär von der Kooperationsbereitschaft ihres Partners abhängig mache.

Best Practice in der lateinischen Schweiz

Die oben erwähnte Studie bezeichnet den Kanton Waadt als »ein Vorbildmodell für die Gesundheitsversorgung vulnerabler Patientinnengruppen«. Den Asylsuchenden stehen zentrale Gesundheitsdienste zur Verfügung, welche von Pflegefachpersonen geleitet werden. Diese führen Erstanamnesen durch und betreuen Asylsuchende nach den Prinzipien des Case Managements und vermitteln sie bei Bedarf vor allem an die in einem Netzwerk organisierten Primärversorger weiter. Dabei sind Dolmetschdienste garantiert und werden vom Kanton finanziert.

Cignacco stellt trotz der guten Gesundheitsversorgung von vulnerablen Migrantinnen und Migranten im Kanton Waadt eine Lücke in der perinatalen Versorgung fest, weil Gynäkologinnen und Gynäkologen nicht als Primärversorger gelten und daher diesem Netzwerk nicht angeschlossen sind.

Wer hilft denn nun bei der Finanzierung von Verhütungsmitteln?

Die Frage, wie Asylsuchende und Migrantinnen mit Wunsch nach sicherer Verhütung unterstützt werden können, beschäftigt viele Personen und Instanzen: die Betroffenen selbst, Sozialdienste, Asylunterkünfte, freiwillige Betreuungspersonen, Ärztinnen und Ärzte, Gesundheitsfachleute wie Hebammen oder Fachpersonen der sexuellen Gesundheit. Die Herausforderung wächst angesichts der zunehmenden Flüchtlingszahlen, aber auch angesichts des zunehmenden Spardrucks.

Für Asylsuchende in Bundeszentren ist die Lage klar: Wenn das Verhütungsmittel ärztlich verschrieben wurde, werden die Kosten übernommen. Für Asylsuchende, welche in kantonalen Unterkünften oder in einer Gemeinde leben, hängt die Übernahme der Kosten von der Handhabung des jeweiligen Kantons bzw. der jeweiligen Gemeinde, dem zuständigen Sozialamt und der zuständigen Asylbetreuungsorganisation ab. Letztere haben dafür manchmal einen gewissen Spielraum in ihrem Budget vorgesehen.

Wenn eine Frau im Asylverfahren bei der Finanzierung ihrer Verhütungsmethode Unterstützung braucht, stehen folgende Fragen im Vordergrund:

  • Gibt es kantonale Regelungen zur Übernahme der Kosten für Empfängnisverhütung?
  • Wird Empfängnisverhütung vom zuständigen Sozialdienst als situationsbedingte Leistung übernommen?
  • Hat die Asylbetreuungsorganisation Gelder für Verhütungsmittel vorgesehen?
  • Gibt es Stiftungen, welche Geld für die Verhütungsfinanzierung geben?
  • Kann die regionale Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit Unterstützung bieten?

Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit: kostenlose Beratung

Die regionalen Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit2 sind in jedem Fall gute Ansprechpartnerinnen für die Asylverantwortlichen bei Bund, Kantonen und Gemeinden, denn die Beratungen bei Schwangerschaftsverhütung, Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch sind kostenlos. In ärztlich betriebenen Stellen werden Verhütungsmittel verschrieben und es sind Langzeitmittel erhältlich. Beratungsstellen können zudem Gesuche an Stiftungen stellen oder zum Teil Verhütungsmittel über eigene Fonds finanzieren.

Viele Stellen bieten speziell auf verschiedene Zielgruppen ausgerichtete Sexualaufklärungskurse an, Kondome und häufig auch Frauenkondome werden kostenlos abgegeben. Tests für sexuell übertragbare Infektionen oder auch Notfallkontrazeption sind ebenfalls in vielen Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit erhältlich.

Die gute Vernetzung, die Professionalität, die Vertraulichkeit und die Kostenlosigkeit der Beratungen zu Themen der sexuellen Gesundheit für Frauen, Männer und Paare unabhängig von Alter, Herkunft, Religion oder Aufenthaltsstatus – machen die Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit zu idealen Partnerinnen der Asylverantwortlichen auf allen föderalen Ebenen. Voraussetzung dafür ist, dass dies dem Betreuungspersonal der Asylsuchenden bekannt ist und der Bund, respektive die Kantone und Gemeinden, die notwendigen Mittel bereitstellen, damit der zusätzliche Beratungsaufwand übernommen werden kann. Denn auch bei den Beratungsstellen sind die finanziellen Ressourcen knapp.

Fußnoten

1 Personen mit einem Rechtsstatus in der Schweiz erhalten Sozialhilfe. Personen ohne Rechtsstatus können sich nur auf die Nothilfe berufen. Diese Hilfe soll einen Minimalstandard garantieren, der für »ein menschenwürdiges Dasein« unerlässlich ist.

2 Das Verzeichnis der Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit befindet sich auf www.sante-sexuelle.ch/beratungsstellen

Veröffentlichungsdatum

Christine Sieber

Christine Sieber arbeitet bei der Stiftung Sexuelle Gesundheit Schweiz, der Dachorganisation der Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit und Familienplanung. Sie betreut verschiedene Projekte im Bereich Zugang und Wissen sowie Migration. Sie war lange Zeit als Beraterin und Sexualpädagogin bei der Beratungsstelle am Inselspital Bern tätig.

 

Alle Angaben zu Autorinnen und Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Herausgebende Institution

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Frauen, die Sozialleistungen beziehen, verhüten seltener als Frauen mit mittlerem und höherem Einkommen. Sie nutzen häufiger Kondome und seltener Verhütungspille und -spirale. Die von Cornelia Helfferich geleitete Studie »frauen leben 3« im Auftrag der BZgA zeigt, dass Frauen mit geringem Einkommen aus Kostengründen unsicher verhüten und so ein ungleich höheres Risiko tragen, unbeabsichtigt schwanger zu werden.
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