Projektskizzen: Verhütungsinformationen in Sozialen Medien: Wichtig, aber auch richtig?
Bisheriger Forschungsstand
Wissenschaftlich untersucht ist das bislang kaum. In den internationalen Fachzeitschriften finden sich bislang nur rund ein Dutzend Studien, die zu einem bestimmten Thema der sexuellen Gesundheit (z. B. Erektionsprobleme oder Verhütung mit dem Hormonstäbchen) eine Stichprobe von Social-Media-Inhalten gezogen und dann deren Qualität detailliert untersucht haben (Döring; Conde, 2021). All diese Studien beziehen sich auf englischsprachige Online-Inhalte und weisen mehr oder minder viele Qualitätsdefizite nach (z. B. fehlende, einseitige oder falsche Informationen). Wie es um deutschsprachige sexuelle Gesundheitsinformationen – und speziell um Verhütungsinformationen – in digitalen Medien im Einzelnen bestellt ist, weiß aktuell niemand.
Die Pille wird gegoogelt
Dabei wird nach Verhütungsinformationen intensiv »gegoogelt«. Das zeigt sich bei den automatischen Suchvorschlägen: Wer beispielsweise »wie wirkt« in die Google-Suchmaske eingibt, erhält Suchvorschläge angezeigt, die der Google-Algorithmus aus häufigen Suchanfragen herausfiltert und dann noch ein wenig an das persönliche Suchprofil anpasst. Die Chancen sind hoch, dass die Frage »wie wirkt die Pille« dabei ist (siehe Abbildung 1).
Die Pille in der Wikipedia
Das wirft die Frage auf, welche Informationen Menschen erhalten, wenn sie »Dr. Google« nach der Wirkungsweise der Pille fragen. Unter den ersten Google-Treffern, die der Algorithmus wiederum auf das persönliche Profil anpasst, erscheinen Pillenbeiträge der Pharmaindustrie, von Krankenkassen, Frauenzeitschriften, Gesundheitsportalen und so gut wie immer auch von Wikipedia (Döring, 2017b). Die Online-Enzyklopädie ist durch ihr gutes Google-Ranking in Deutschland eine zentrale Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen aller Art, so auch für Verhütungsinformationen. Allein im Jahr 2020 wurde der Wikipedia-Eintrag zur Antibabypille mehr als 170 000-mal abgerufen. Aber bildet der von vielen anonymen Wikipedia-Mitgliedern verfasste und kontinuierlich überarbeitete Beitrag auch wirklich den aktuellen Forschungsstand zur Pille ab? Und vermittelt er die verfügbaren Evidenzen in ausgewogener und gut verständlicher Form?
Die Pille auf YouTube, TikTok und Instagram
Junge Menschen stoßen nicht nur durch Google-Suchen auf Verhütungsinformationen, sondern werden auch von Influencerinnen auf das Thema aufmerksam gemacht. Zahlreiche Influencerinnen verbreiten pillenkritische Beiträge auf YouTube, TikTok und Instagram und finden große Resonanz beim Publikum (siehe Abbildung 2). Wie ist dieser Trend einzuschätzen? Inwiefern werden hier Nebenwirkungen der Pille realistisch oder möglicherweise auch übertrieben dargestellt (Döring, 2021)? Welche nicht-hormonellen Verhütungsmethoden werden als Alternativen zur Pille empfohlen? Und wie akkurat werden wiederum deren Vor- und Nachteile beschrieben?
Aktuelles Forschungsvorhaben
Unser von der BZgA gefördertes Forschungsprojekt »Verhütung in Sozialen Medien: eine kommunikationswissenschaftliche Analyse« stützt sich auf einschlägige eigene Vorarbeiten (Döring, 2017a, 2017b, 2021, Döring & Conde, 2021) und verfolgt das Ziel, den oben aufgeworfenen Fragen systematisch nachzugehen. Dabei werden neben der Pille alle rund zwanzig verfügbaren Verhütungsmethoden abgedeckt.
Untersucht werden die entsprechenden Wikipedia-Artikel, Stichproben von reichweitenstarken Instagram-Beiträgen, YouTube- und TikTok-Videos sowie die zugehörigen Kommentare des Publikums im Hinblick auf deren Inhalte und ihre Informationsqualität. Zudem werden Interviews mit jungen Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzern geführt, um zu erkunden, wie Verhütungsinformationen in Sozialen Medien wahrgenommen und hinsichtlich ihrer Glaubwür digkeit eingeschätzt werden.
Die Ergebnisse der Studie, die Ende 2022 vorliegen werden, schließen nicht nur eine Forschungslücke, sondern informieren auch die Fachpraxis. Denn bei identifizierten Qualitätsmängeln kann diese in zweierlei Hinsicht gegensteuern: Sie kann gerade junge Menschen in ihrer Online-Gesundheitskompetenz fördern, damit diese Verhütungsinformationen in Sozialen Medien selektiv nutzen und kritisch einordnen. Zudem ist die Fachpraxis gefragt, evidenz basierte Verhütungsinformationen selbst verstärkt über Soziale Medien auszuspielen, insbesondere zu jenen Verhütungsmethoden, über die laut Datenlage besonders viele fehlerhafte, einseitige oder unvollständige Informationen kursieren.
Zitation
Döring, N., (2021). Verhütungsinformationen in Sozialen Medien: Wichtig, aber auch richtig?, FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 1, 40-41.
Veröffentlichungsdatum
Prof. Dr. Nicola Döring
Kontakt: Nicola.Doering(at)tu-ilmenau.de
Alle Angaben zu Links und Autorinnen/Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.
Herausgebende Institution
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
Artikel der Gesamtausgabe
- Nicht jede Evaluation ist eine gute Evaluation.
- Der Public Health Action Cycle als Rahmen für die Qualitätsentwicklung
- Mediennutzung in der Sexualaufklärung und Familienplanung
- Die Sex & Tipps-Broschüren der BZgA
- »Liebesleben – Das Mitmach-Projekt« als Beispiel guter Praxis zur Entwicklung komplexer personalkommunikativer Maßnahmen
- Fortbildungsnetz sG. Datenbank für Fortbildungsangebote zu sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend
- Qualitätsmanagement im Projekt ReWiKs
- Projekt »Herzfroh 2.0«: Kieler Bildungsfachkräfte beraten als Expertinnen und Experten in eigener Sache
- Evaluation eines Qualitätsentwicklungsprojekts in den Frühen Hilfen.
- Evaluation Kondomstarterset: Feedback von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland
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- Projektskizzen: Toolbox zur Evaluation von E-Health-Angeboten
- Projektskizzen: Relaunch und Evaluation von Loveline
- Projektskizzen: Evaluation der interprofessionellen Zusammenarbeit in den Frühen Hilfen – die P.A.T.H.-Studie des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen
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- Infothek - Ausgabe 01/2021