PROJEKTSKIZZEN: Das Forschungsprojekt »Schwangerschaftsberatung während der Covid-19-Pandemie aus Sicht von Beratungsfachkräften«
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Ausgangssituation
Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurden ab März 2020 in Deutschland und weltweit zahlreiche Infektionsschutzmaßnahmen beschlossen, die für das gesellschaftliche und private Leben viele Einschränkungen und Veränderungen mit sich brachten. Schon früh wiesen verschiedene Organisationen wie Amnesty International, Center for Reproductive Rights und der pro familia Bundesverband auf die Notwendigkeit eines »sicheren und zeitnahen Zugang[s] zu essenziellen Diensten, Produkten und Informationen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit während der Pandemie« (pro familia, 2020, S. 5) bzw. auf die Erfordernisse einer kontinuierlichen psychosozialen wie medizinischen Versorgung im Kontext von Schwangerschaftsabbrüchen hin (vergleiche Baier & von Rauch, 2020). Im März 2020 forderte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die zuständigen Landesministerien auf, eine pragmatische Lösung bezüglich der Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatungen nach § 2/§ 5 SchKG zu finden, und regte an, dass diese auch als Telefon- oder Videoberatung und ohne persönliches Erscheinen der Schwangeren in der Beratungsstelle realisiert werden können (vergleiche u. a. Hofer, 2020). Die Mehrheit der Bundesländer nahm im April entsprechende Änderungen der landesspezifischen Ausführungsverordnungen vor. Insbesondere für das Feld der Schwangerschaftskonfliktberatung stellen Telefon- bzw. Videoberatungen ein absolutes Novum dar.
Zielsetzung
Die Veränderungen, die sich unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie für unterschiedliche Handlungsfelder der gesetzlich anerkannten Schwangerschaftsberatungsstellen ergeben, werden in der durch die BZgA geförderten Studie »Schwangerschaftsberatung während der Covid-19-Pandemie aus Sicht von Beratungsfachkräften« (Juli 2020 bis Dezember 2021) exemplarisch in Niedersachsen, Bayern, Berlin und Brandenburg untersucht. Ein wesentliches Erkenntnisinteresse gilt den Erfahrungen und Einschätzungen der Fachkräfte zur Arbeit mit digitalen Formaten in der allgemeinen Schwangerschaftsberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung, Paar- und Sexualberatung sowie sexuellen Bildung.
Vorgehensweise/Forschungsdesign
Die Studie ist als Mixed-Methods-Design angelegt und umfasst eine quantitative und eine qualitative Erhebung. In Vorbereitung der Erhebungen wurden in offenen Gesprächsrunden mit Referent*innen der Trägerverbände (AWO, Caritas, Diakonie, donum vitae, DPWV, DRK, pro familia, SKF) auf Bundes- und Landesebene praxisbezogene Themen und Problemstellungen im Kontext der Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie exploriert, die in die Konzeption des quantitativen Onlinefragebogens (umgesetzt mit der Software LimeSurvey) einflossen. Dieser umfasste u. a. Fragen nach Beratungsformaten und -inhalten und nach der subjektiven Zufriedenheit mit den Beratungen mittels der genutzten Formate, der technischen Ausstattung der Beratungsstelle, der praktischen Organisation des Arbeitsalltags und, auf Seiten der Klient*innen, nach Zielgruppen und Anliegen Ratsuchender während der Pandemie.
Der insgesamt 48 Fragen umfassende Onlinefragebogen war Berater*innen aus anerkannten Schwangerschaftsberatungsstellen in den vier Bundesländern vom 15. August bis 15. September 2020 zugänglich. Die anvisierte Stichprobe von n = 100 wurde weit übertroffen: Mit Ende der Erhebungsphase liegen 287 vollständig ausgefüllte Fragebögen vor. Die Auswertung der quantitativen Daten bildet die Grundlage vertiefender, qualitativer Interviews, die in einem zweischrittigen Erhebungsverfahren für Herbst 2020 und Frühjahr 2021 geplant sind. In der Fragebogenerhebung haben 147 Beratungsfachkräfte ihr Interesse an der Teilnahme an einem Telefoninterview mitgeteilt. Aus diesem Pool werden 48 Teilnehmende entlang eines qualitativen Stichprobenplans (Döring & Bortz, 2016, S. 303) gewonnen und in qualitativen Expert*inneninterviews (Ullrich, 2006) befragt.
Aktueller Stand und Ausblick
Aktuell findet die deskriptive und hypothesenprüfende Auswertung der quantitativ erhobenen Daten mit der Datenanalysesoftware SPSS statt. Erste Aussagen zur Stichprobe sind bereits möglich: etwa Dreiviertel der Studienteilnehmenden sind über 40 Jahre alt, entsprechend hoch ist auch die berichtete Berufserfahrung – mehr als die Hälfte der Befragten ist zehn Jahre oder länger in Arbeitsfeldern der Schwangerschaftsberatungsstelle tätig. Zugleich stellen Sozialarbeiter*innen/Sozialpädagog*innen die größte Berufsgruppe unter den Befragten dar (84 %) und ordnen sich nahezu alle, nämlich 97 Prozent, der Geschlechtskategorie »Frau« zu. Auf diese spezifischen Aspekte der Stichprobe wird in zukünftigen Auswertungen und Interpretationen näher eingegangen werden. Hinsichtlich der Erfahrungen von Beratungsfachkräften mit digitalen Beratungsformaten während der Covid-19-Pandemie zeigt ein erster Blick in die Daten, dass zwar knapp drei Viertel vor der Pandemie bereits ein- oder mehrmalig Erfahrung mit telefonischer Beratung gesammelt haben – allerdings nur 2 Prozent von Erfahrung mit Videoberatung berichten konnten. Diese unterschiedliche Erfahrenheit mit, aber auch Affinität zu den beiden genannten Beratungsformaten setzt sich fort: Gefragt nach der generellen Bereitschaft, während der Pandemie Beratungen telefonisch oder per Video durchzuführen, gaben 96 Prozent der Befragten an, sich auch Beratungen per Telefon vorstellen zu können, während dies zur Beratung per Video nur 46 Prozent angaben. Auch in den Zahlen zu den realisierten Formaten unter Pandemiebedingungen spiegelt sich die Differenz wider: Während mehr als zwei Drittel der Befragten überwiegend Beratungen per Telefon realisierten, gab die Mehrheit mit Blick auf Beratungen per Video an, dieses Format kaum genutzt zu haben. Und während sich 94 Prozent der Teilnehmenden zum Zeitpunkt der Befragung kompetent und sicher mit telefonischer Beratung fühlten, schätzten sich nur 38 Prozent als kompetent und sicher in Videoberatung ein. Gefragt nach den größten Herausforderungen während der bisherigen Pandemiezeit, finden sich in den offenen Antworten viele Hinweise darauf, dass die Veränderungen in den Arbeitsabläufen und der teaminternen Zusammenarbeit besonders schwer wiegen. Thematisiert werden aber auch technische bzw. institutionelle Hürden: So waren etwa »Austausch, Informationsweitergabe, Rückmeldungen, Absprachen schwieriger zu bewerkstelligen«, wurde auf »Störanfälligkeit bzw. Überlastung der Kommunikationstechnik« hingewiesen oder »unklare Dienstanweisungen des Arbeitgebers« genannt. Zudem wurden Beratungen als »deutlich herausfordernder« erlebt, »da der Blickkontakt und das wirkliche Zusammensein fehlt«. Eine Befragte resümiert in diesem Zusammenhang zugespitzt: »Keine Beratungsform kann Face-to-Face ersetzen«. Doch werden digitale Beratungsformate keineswegs durchweg kritisch bewertet – so gibt etwa eine Befragte an, »dass die Beratungen auch auf anderen Wegen (online, Telefon) möglich sind und gut funktionieren«, und formuliert den Wunsch, diese »auch in der Zukunft beizubehalten«. An anderer Stelle stellt eine Beratungsfachkraft als positive Erfahrung während der Pandemie heraus, dass »andere Formen der Beratung etabliert werden können (z. B. Videoberatung) und ein Umdenken stattfinden muss«.
Im Herbst 2020 wurde eine vertiefende Exploration zunächst durch acht Expert*inneninterviews umgesetzt, weitere 40 Interviews mit Beratungsfachkräften der Schwangerschaftsberatung sind für Frühjahr 2021 geplant. Zu diesem Zeitpunkt werden die Beratungsfachkräfte auf ein Jahr Erfahrung mit veränderten Beratungssettings während der Covid-19-Pandemie zurückblicken können. Im Rahmen eines Fachtags im Dezember 2021 werden die Projektergebnisse der interessierten Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht.
Veröffentlichungsdatum
Maika Böhm, Johanna Licht,
Katja Krolzik-Matthei, Maria Urban
Kontakt: Forschung-Familienplanung(at)hs-merseburg.de
Alle Angaben zu Links und Autorinnen/Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.
Herausgebende Institution
Artikel der Gesamtausgabe
- Die Professionalisierung der Onlineberatung
- Digitale Beratung in der Krise – Corona fördert Telefon- und Videointerventionen
- Präsenzberatung und Technik sinnvoll verbinden
- Digitale Beratung: Europäische Telefondienste bieten zunehmend auch Beratung per Chat und E-Mail an
- Der Krisenkompass der TelefonSeelsorge®
- Viel Kummer in Zeiten von Corona
- »Aber dann kam Corona ...«
- Liebe und Sexualität in der Onlineberatung
- »Schreiben ist lauter als denken und leichter als sagen«1
- Hebammenarbeit mittels digitaler Medien
- Frühe Hilfen – Entwicklung und Etablierung von digitalen Maßnahmen zur Unterstützung eines analogen Arbeitsfeldes
- PROJEKTSKIZZEN: Das Forschungsprojekt »Schwangerschaftsberatung während der Covid-19-Pandemie aus Sicht von Beratungsfachkräften«
- PROJEKTSKIZZEN: Beratung im digitalen Zeitalter. Über das donum vitae-Modellprojekt »HeLB« und die Coronakrise
- PROJEKTSKIZZEN: Die Digitalisierung des Sozialen und der Beitrag der Freien Wohlfahrtspflege am Beispiel der Onlineberatung der Caritas
- Infothek - Ausgabe 02/2020