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FORUM 2–2017

Pille danach rezeptfrei erhältlich – und jetzt?

Eine kritische Bestandsaufnahme im Herbst 2017

Im Vergleich zur breiten öffentlichen Auseinandersetzung vor der Rezeptfreigabe ist es erstaunlich still geworden um die Pille danach. Was ist seit ihrer Freigabe 2015 geschehen?

Über Jahre lief die Auseinandersetzung: Soll die Pille danach von der Rezeptpflicht befreit werden, um endlich auch in Deutschland den betroffenen Mädchen und Frauen einen möglichst schnellen und unkomplizierten Zugang zur Notfallverhütung zu ermöglichen – oder muss vor der Abgabe der Pille danach zwingend eine ärztliche Beratung erfolgen? Die Diskussion war emotional hoch besetzt.

Dann ging es plötzlich ganz schnell: Aufgrund europäischer Vorgaben wurde im Frühjahr 2015 nicht nur der Wirkstoff LNG (Levonorgestrel) von der Rezeptpflicht befreit, der seit 2000 in Deutschland zur Notfallverhütung zugelassen ist (und für den umfangreiche und langjährige Erfahrungen bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit als Notfallkontrazeptivum im Rahmen der Selbstmedikation vorliegen), sondern auch Ulipristalacetat (UPA), in der EU erst seit 2009 zugelassen und entsprechend weniger untersucht. Was ist seitdem geschehen?

Exkurs: Was heißt und wie wirkt Notfallkontrazeption?

Notfall bedeutet hier: Die Frau hatte Geschlechtsverkehr (GV), es sind Spermien in ihren Körper gelangt. Sie könnte schwanger werden, falls sie gerade ihren Eisprung hatte bzw. es innerhalb der nächsten fünf bis sieben Tage zum Eisprung kommt, so lange können die Spermien befruchtungsfähig sein. Der Grund für die Sorge ist unterschiedlich: Pille vergessen, Kondom gerissen, gar keine Verhütung. Ob tatsächlich der Eisprung kurz bevorsteht, d. h., ob die Gefahr der Schwangerschaft überhaupt besteht bzw. wie groß das Risiko ist, lässt sich in dieser Situation kaum exakt feststellen. Aktuelle Vorschläge, das Risiko durch gezielten Ultraschall und/oder Hormonmessung zu bestimmen (Ludwig 2017) und damit eine »unnötige« Einnahme der Pille danach zu verhindern, wirken verlockend, sind aber bislang in ihrer Aussagekraft durch Studien nicht belegt und erscheinen in der Praxis kaum umsetzbar.

Die Pille danach verzögert den Eisprung um mehrere Tage, dadurch kann sie ein Zusammentreffen von Spermien und Eizelle verhindern. Mit UPA und LNG sind zwei Wirkstoffe dafür in Deutschland zugelassen, wobei UPA noch einige Zeit später effektiv in diesen Prozess eingreift als LNG. Ob ein Präparat wirksamer ist als das andere, wird weiter unten erörtert. In jedem Fall gilt: Der Zeitraum zwischen GV und Pille danach sollte möglichst kurz sein! Je mehr Zeit verstreicht, desto ris kanter wird es: Wenn es schon zum Eisprung gekommen ist, kann die Pille danach nicht mehr wirken; und je weiter die Eireifung fortgeschritten ist, desto weniger sicher ist ihre aufschiebende Wirkung.

Die Spirale danach ist noch mehrere Tage nach dem Notfall zuverlässig wirksam, da sie nicht nur die Wanderung der Spermien behindert, sondern zusätzlich die Einnistung einer eventuell befruchteten Eizelle in die Gebärmutter verhindert. Sie gilt als wirkungsvollste Not fallverhütung. Trotzdem wird sie hierzulande als Alter native wenig genutzt, erklärbar zum einen durch die notwendige schnelle Entscheidung unter Zeitdruck und evtl. auch durch die Unsicherheit vieler Frauenärztinnen und -ärzte, die mit der Einlage der Spirale als Notfall kontrazeptivum kaum Erfahrung haben.

Nach der Rezeptfreigabe: die Apothekerinnen und Apotheker übernehmen

Die Bundesapothekerkammer (BAK) hat auf die neue Aufgabe, die auf die Apotheken zukam, schnell reagiert. Sie hat Curricula für Schulungsseminare entwickelt und umfassende Beratungsunterlagen erarbeitet (BAK 2015). Durchaus nicht alle Apothekerinnen und Apotheker waren und sind von der neuen Situation begeistert, wie ich in persönlichen Gesprächen erfahren habe. Es bedeutet für sie eine deutliche Mehrbelastung, gerade in den Notdienstzeiten. Manche begrüßen aber auch die damit verbundene Herausforderung an ihre fachliche Kompetenz: Sie ersetzen in einer akuten Situation die ärztliche Beratung. Die Verantwortung ist groß, moralische Fragen können sich stellen. Meist kommen die Paare zusammen, aufgeregt und in großer Sorge, oft mitten in der Nacht. Belegt ist, dass 28 Prozent der Notfallkontrazeptiva am Wochenende in der Apotheke verlangt werden, zu Zeiten der Rezeptpflicht waren es nur 7 Prozent (Arzbach 2016).

Die Apothekerinnen und Apotheker sollen u. a. klären: Ist die Notfallkontrazeption aufgrund der von der Frau berichteten Situation erforderlich? Gibt es Gründe, die gegen die Einnahme sprechen? Welcher der beiden Wirkstoffe ist angebracht? Wäre evtl. die Spirale eine bessere Alternative? Was muss bei der Einnahme und in den kommenden Tagen und Wochen beachtet werden?

Die Vergabepraxis ist minutiös ausdifferenziert: Wenn der »Notfall« schon länger als fünf Tage zurückliegt oder der Verdacht auf eine schon bestehende Schwangerschaft besteht, soll die Pille danach nicht abgegeben, sondern die ärztliche Konsultation empfohlen werden. Andere Situationen (wie Hinweise auf das Risiko sexuell übertragener Erkrankungen oder der Verdacht auf Gewaltanwendung) »sind per se kein Grund für eine Nicht-Abgabe eines oralen Notfallkontrazeptivums; ein anschließender Besuch bei einem Arzt/einer Ärztin bzw. einem Gynäkologen/einer Gynäkologin wird empfohlen.« Minderjährigen sollte ebenfalls immer zusätzlich ein Arztbesuch empfohlen werden, und zuletzt heißt es: »Notfallkontrazeptiva sollen ohne Einverständnis eines Erziehungsberechtigten nicht an Mädchen unter 14 Jahren abgegeben werden« (BAK 2015). Die Abgabe soll auf den Notfall beschränkt bleiben. Eine Dokumentation der erfolgten Beratung wird empfohlen, ist aber nicht verpflichtend.

Zur Abgabepraxis gibt es eine kleinere Erhebung aus dem Herbst 2015, die »Unsicherheiten bei der Abgabe (insbesondere an Minderjährige, Dritte und bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt) sowie ein stark uneinheitliches Vorgehen« ergab (pro familia 2015). Eine größere aktuelle Erhebung unter knapp 140 Apothekerinnen und Apothekern bestätigt, dass diese Unsicherheiten weiterhin bestehen (Dierolf/Freytag 2017). Das ist besonders problematisch im Umgang mit Gewaltopfern: Hier würde nur ca. die Hälfte der Apotheken die Pille danach abgeben, obwohl gerade das für die Frauen »eine sehr große Erleichterung darstellt« (ebd.).

Die Abgabemenge ist um mehr als 50 Prozent angestiegen (Ludwig 2017); dabei überwiegt UPA, obwohl es mit gut 30 Euro doppelt so teuer ist wie LNG. Manche Mädchen/Frauen verlangen von sich aus UPA, weil es »besser« sei, andere diskutieren wegen des Preises, wie mir berichtet wurde. Ob Betroffene durch die Kosten insgesamt von der Notfallkontrazeption abgeschreckt werden, ist unbekannt. Für unter 20-Jährige übernimmt die Krankenkasse die Kosten, wenn ein ärztliches Rezept vorgelegt wird, das allerdings vor dem Gang in die Apotheke besorgt werden muss.

Die zentrale Befürchtung aber, vor der die beiden großen gynäkologischen Verbände BVF (Berufsverband der Frauenärzte) und DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) immer wieder mit unterschiedlichen Begründungen gewarnt haben (z.B. BVF/DGGG 2013), hat sich nicht bewahrheitet: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist nicht angestiegen nach der Rezeptfreigabe. Im Gegenteil: Der über die Jahre beobachtete leichte Abwärtstrend ging weiter, sowohl in absoluten wie in relativen Zahlen, von 102 815 Abbrüchen im Jahr 2013 über 99237 im Jahr 2015 auf 98 721 im Jahr 2016. Im ersten Halbjahr 2017 ging der Trend wieder leicht nach oben; Erklärungen hierfür stehen noch aus.

UPA oder LNG?

Dass beide Wirkstoffe in Deutschland gleichzeitig von der Rezeptpflicht befreit wurden, stellt für die Praxis ein nicht unerhebliches Problem dar: Welches Präparat soll in der Apotheke empfohlen werden: das erprobte LNG, zugelassen für bis zu 72 Stunden danach, oder das neuere UPA, zugelassen für bis zu fünf Tage danach? Was ist für die Frau besser?

Die Studienergebnisse und die darauf beruhenden Aussagen der Fachleute sind nicht einheitlich:
Die Bundesapothekerkammer (BAK) kommt in ihrer vergleichenden Darstellung (BAK 2015) zu dem Schluss: »Ob UPA innerhalb von 72 Std. nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr bzw. Versagen der Kontrazeption wirksamer als LNG in Bezug auf die Schwangerschaftsraten ist, ist nicht eindeutig belegt.« Diese Aussage beruht auf einem Review zur Notfallkontrazeption von 2012 (Cheng 2012), das für den Ver gleich von LNG und UPA zwei relevante Studien mit insge samt 1 716 Frauen einschließt (RR UPA vs. LNG bei Einnahme innerhalb von 72 Stunden: 0,63; 95 % Konfidenzintervall 0,37– 1,07). Wenn alle Daten der zwei Studien verglichen werden, d. h. inkl. Einnahme von UPA am 4. und 5. Tag danach, verschieben sich die Zahlen geringfügig zugunsten von UPA (RR 0,59, KI 0,35– 0,99). Im Update dieses Reviews von 2017 wurden dazu keine neuen Studien aufgenommen, entsprechend hat sich die grundsätzliche zusammenfassende Bewertung nicht geändert: »Ulipristal acetate (UPA) was associated with fewer pregnancies than levonorgestrel.«

Beweist das, dass UPA besser ist als LNG, d. h. zuverlässiger eine ungewünschte Schwangerschaften verhindert? So stellen es zumindest die großen frauenärztlichen Verbände in Deutschland BVF und DGGG seit Jahren in gemeinsamen Stellungnahmen dar, z. B. in der ausführlichen »Checkliste für die Verordnung von Notfallkontrazeptiva« (2013), in der UPA als »aktueller Standard in der Notfallkontrazeption« definiert wird, und erneut in einer Pressemitteilung vom August 2015.1 Auch die Pharma-Firma HRA wirbt mit diesen Zahlen. Aber Vorsicht: Wer sich mit Statistik auskennt, wird bemerken, dass das Konfidenzintervall (KI) bis 0,99 reicht, beim Vergleich der Wirksamkeit in den ersten 72 Stunden sogar bis 1,07. Ab einem Wert von 1 ist das Ergebnis nicht signifikant, das heißt, es könnte auch zufällig entstanden sein. So ist die Bewertung »nicht eindeutig belegt« der BAK (s.o.) zu verstehen.

Das kritische arznei-telegramm kommt zu der Beurteilung:
»Allerdings stufen wir den Progesteronrezeptormodulator (UPA) derzeit wegen des im Vergleich zu Levonor gestrel deutlich geringeren Erfahrungsumfangs grundsätzlich als Mittel der Reserve ein, das an den Tagen 4 und 5 nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr in Betracht kommt, ein Zeitraum, für den eine Notfallkontrazeption mit Levonorgestrel nicht zugelassen ist« (arznei-telegramm 2015a). Der Hormonexperte Michael Ludwig beurteilt die Studienlage in einem aktuellen Artikel wie folgt: »Prinzipiell sind LNG 1,5 mg und UPA 30 mg als gleich effektiv zu betrachten« (Ludwig 2017), und weist auf die Wichtigkeit der Beratung im Einzelfall hin.

Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass sich ein hohes Körpergewicht (BMI >30) negativ auf die Wirksamkeit beider Notfallpräparate auswirkt. Bekannt ist zudem, dass es zwischen dem Wirkstoff UPA und der Antibabypille Interaktionen gibt, die die jeweilige Wirkung reduzieren können (arzneitele gramm 2015b). Pro familia stellt entsprechend fest: »Weiterhin lassen neue Daten zu möglichen Wechselwirkungen zwischen ellaOne® und hormonellen Kontrazeptiva aufhorchen, sodass im Falle eines Pilleneinnahmefehlers eine Notfallverhütung mit Levonorgestrel zu bevorzugen ist« (pro familia 2016). Daten weisen darauf hin, dass die Wirkung der Antibabypille nach Einnahme der Pille danach nicht mehr gesichert ist, d. h., die Frau muss informiert werden, dass sie bis zur nächsten Menstruation zusätzlich Barrieremethoden anwenden sollte.

Ein Verhütungsnotfall in der Stillzeit stellt eine Sondersituation dar: Wegen des Übertritts der Wirkstoffe in die Muttermilch wird eine Stillpause empfohlen, die bei LNG acht Stunden beträgt, bei UPA eine Woche – ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung zwischen den beiden Wirkstoffen.
Fazit: Es ist kompliziert!

Informationsquellen der Frauen und Mädchen

Die Mädchen und Frauen müssen im Notfall selbst aktiv werden und mitentscheiden. Dafür brauchen sie verlässliche Informationen. Eine repräsentative Erhebung von 16- bis 49-jährigen Frauen einige Monate nach der Rezeptfreigabe ergab, dass sich die meisten der Befragten (71%) subjektiv gut informiert fühlten zur Pille danach, aber nur weniger als die Hälfte der Frauen (44%) damals bereits wussten, dass die Pille danach ohne Rezept erhältlich ist (Renner 2016). Letzteres hat sich inzwischen sicher geändert, wie die verschwindend geringe Rezept-Nachfrage in den frauenärztlichen Praxen belegt.

Wenn auch in dieser Studie als wichtigste Informationsquelle die Printmedien angegeben werden, ist davon auszugehen, dass in der akuten Notfallsituation das Internet bei der Antwort auf die Frage: »Was müssen wir jetzt tun?« eine ganz wesentlich Rolle spielt. Bei entsprechen der Suchfrage egal ob »Kondom gerissen« oder »Pille vergessen« – landet frau/man immer als Erstes auf www.pille-danach.de, einer attraktiven und informativen Seite der Firma HRA, die beide Präparate in Deutschland vertritt. Die Seite ist ordnungsgemäß als Anzeige gekennzeichnet, firmiert aber unter der Überschrift: »Pille Danach. Dein Magazin über Liebe, Sex und Verhütung«, d. h., die Verbindung zur Pharmaindustrie ist nur erkenntlich durch einen Blick auf das Impressum.

Den Suchenden wird geraten, sich möglichst schnell die Pille danach zu besorgen. Zwar indirekt, aber eindeutig wird für UPA als das sicherere Präparat geworben: »Die Pille Danach mit dem Wirkstoff UPA senkt das Schwangerschaftsrisiko auf 0,9 %, wenn sie innerhalb von 24 Stunden nach der Verhütungspanne eingenommen wird. Die Pille Danach mit dem Wirkstoff LNG kann das Schwangerschaftsrisiko auf 2,3  senken.« Kein Wunder, dass viele von sich aus UPA in der Apotheke verlangen. Die Möglichkeit der Abwägung, ob überhaupt die Pille danach notwendig ist, findet sich nicht.

Die entsprechenden Seiten von unabhängigen Beratungsstellen wie BZgA und pro familia erscheinen nach geordnet; deren differenziertere Ratschläge zum Umgang mit Pille-Einnahmefehlern sind somit weniger gut auffind bar. Auch die Informationsseiten der ärztlichen Verbände rangieren weit hinter der Pharmaseite, ebenso wie die medizinischen Online-Foren wie z. B. onmeda. Dort landen seit der Freigabe deutlich mehr Anfragen zur Pille danach, wie Kolleginnen berichteten, die in diesen Feldern arbeiten.

Stimmen der Frauenärztinnen und -ärzte

Wie beurteilen die Frauenärztinnen und -ärzte die neue Situation? Da ich auch dazu keine Daten fand, habe ich im Oktober 2017 mir bekannte Frauenärztinnen und -ärzte via E-Mail nach ihren Erfahrungen befragt. Aus den immerhin 32 Antwortschreiben (von ca. 100 Angefragten) ergab sich ein komplexes Bild, das natürlich keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt. Grundtenor der Antworten: »Es läuft mehr oder weniger gut – ohne uns.«

Die Ärztinnen und Ärzte werden kaum mehr auf die Pille danach angesprochen; gelegentlich berichten Frauen hinter her über die Einnahme. Nur vereinzelt wird von ärztlicher Seite Bedauern geäußert, dass mit dem Wegfall der Rezept pflicht eine Chance für die Verhütungsberatung verschwunden sei; die Mehrzahl begrüßt die Rezeptfreigabe. Viele betonen, dass sie mehr als zuvor präventiv über die Notfallverhütung informieren, besonders bei der Pillen-Erstberatung oder wenn Frauen von der Pille auf Kondome oder auf NFP (Natürliche Familienplanung) wechseln. Viele geben eine entsprechende schriftliche Information mit, z. B. von der BZgA und pro familia.

Über die Beratung in den Apotheken hören die Kolleginnen und Kollegen Unterschiedliches, sie scheint insgesamt eher kurz, gelegentlich auch dürftig zu sein. Ganz überwiegend werde UPA empfohlen, was viele Frauenärztinnen und -ärzte kritisch sehen. Dass gerade Pillenanwenderinnen nach der Pille danach bis zur nächsten Menstruation eine Barrieremethode anwenden sollten, wird anscheinend in den Apotheken nicht immer ausreichend betont. Aber es gibt auch Apothekerinnen und Apotheker, die ausführlich beraten, den Frauen eine kurze Anweisung mitgeben (weitere Kontrazeption, Verhalten bei Erbrechen kurz nach der Einnahme) und ihnen den guten Tipp geben, vor der Einnahme eine Kleinigkeit zu essen. Abgeraten werde von der Einnahme nie, auch wenn die Pille danach »eigentlich« nicht nötig sei, z. B. bei Vergessen nur einer Pille kurz vor der Einnahmepause oder im Langzyklus. (Ob eine differenzierte Beratung allerdings bislang immer und von allen Ärztinnen und Ärzten geleistet wurde, z. B. im Notdienst, wird kritisch hinterfragt.) Nur eine Kollegin berichtete, dass eine Apotheke die Abgabe der Pille danach ablehnte mit Verweis auf die Abklärung in der ärztlichen Praxis; das scheint die Ausnahme zu sein. Jüngere Frauen unter 20 melden sich gelegentlich »hinterher« für ein Rezept, um die Kosten doch noch erstattet zu bekommen; das wird unterschiedlich gehandhabt und ist nur in Ausnahmefällen zulässig (laut § 8 (2) der Arzneimittelrichtlinien).

Insgesamt scheinen die Mädchen und Frauen – laut Eindruck der befragten Ärztinnen und Ärzte – mit der jetzigen Abgabepraxis zufrieden zu sein und gut damit zurechtzukommen.

Mehr Notfallpillen – unverändert viele Abbrüche: Was bleibt zu tun?

Ein Hauptziel der Freigabe ist erreicht: Die betroffenen Mädchen und Frauen besorgen sich die Pille danach zumeist zeit nah direkt in der Apotheke, und sie bekommen sie anscheinend ohne Probleme. Das ist positiv zu werten!

Leider hat sich dieser Zeitvorteil bislang nicht positiv auf die Zahl der ungewollten Schwangerschaften ausgewirkt: Der deutliche Anstieg der verkauften Notfallkontrazeptiva korrespondiert nicht mit einem entsprechenden Abfall der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche. Das entspricht allerdings den Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern.

Eindeutig gewonnen haben die Herstellerfirmen, mit einem Anstieg der verkauften Packungen von 483 800 im Jahr 2014 auf 758000 Packungen im Jahr 2016 (Ludwig 2017). Negativ muss bewertet werden, dass es bislang an aussagekräftigen Evaluationen zu den Erfahrungen der Mädchen und Frauen, der Apothekerinnen und Apotheker und auch der Frauenärztinnen und -ärzte mangelt. Sie wären wichtig, um zu klären: Wo gibt es Probleme? Wie kann die Informationsvermittlung weiter verbessert werden? Die Informationsbroschüren (pro familia, BZgA, s.a. Rubrik Infothek) wurden aktualisiert, sind aber eventuell noch nicht weit genug bekannt und ver breitet. Die Informationsvermittlung im Notfall sollte mit Sicherheit nicht »Dr. Google« und der Pharmaindustrie über lassen bleiben.

Die weitere Klärung, welcher Wirkstoff wann sinnvoll einzusetzen ist, wäre dringend zu wünschen, verbunden mit eindeutigeren und übereinstimmenden Empfeh lungen für die Fachkreise und die Mädchen und Frauen.

Zu fragen ist aus meiner Sicht auch, ob nicht tatsächlich die Abgabe »auf Vorrat« sinnvoll ist. Rechtlich ist das möglich, ebenso wie ja Schmerzmittel auf Vorrat gekauft werden können. Die ärztliche Beratung dazu, in Ruhe statt in einer belastenden krisenhaften Situation, könnte mithilfe eines Privatrezeptes dokumentiert werden, das belegt, dass das Mäd chen/die Frau ausreichend Bescheid weiß um zu entscheiden, wann sie die Pille danach braucht. So wäre das Feld wie der offener für die Frauenärztinnen und -ärzte und deren Anspruch auf eine fachlich kompetente und individuelle Beratung; und es wäre vielleicht allen geholfen – den Mädchen und Frauen, den Ärztinnen, Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern.

Entlassung aus der Rezeptpflicht bedeutet ja nicht Entlassung aus der ärztlichen Betreuung, sei es vor oder nach dem Notfall!

Veröffentlichungsdatum

Dr. med. Claudia Schumann

Dr. med. Claudia Schumann ist Frauenärztin und Psychotherapeutin. Nach mehrjähriger Beratungstätigkeit bei pro familia war sie bis Sommer 2014 in ihrer Praxis für psychosomatische Frauenheilkunde selbstständig. Aktuell ist sie als Autorin und Beraterin tätig. Sie ist seit 2005 Mitglied im Vorstand der DGPFG (Deutsche Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe) und seit 2014 Vizepräsiden tin der Gesellschaft. Außerdem engagiert sie sich im AKF (Arbeitskreis Frauen gesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind psychosomatische Frauenheilkunde, Qualitätsmanagement (QEP), berufsübergreifende Kooperation und Versorgungsforschung.

 

Alle Angaben zu Autorinnen und Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Herausgebende Institution

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Frauen, die Sozialleistungen beziehen, verhüten seltener als Frauen mit mittlerem und höherem Einkommen. Sie nutzen häufiger Kondome und seltener Verhütungspille und -spirale. Die von Cornelia Helfferich geleitete Studie »frauen leben 3« im Auftrag der BZgA zeigt, dass Frauen mit geringem Einkommen aus Kostengründen unsicher verhüten und so ein ungleich höheres Risiko tragen, unbeabsichtigt schwanger zu werden.
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