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FORUM 2–2022

Lehrkräftefortbildungen im Rahmen der bundesweiten Initiative »Trau dich!«

Ergebnisse der Evaluation

Als erwachsene Bezugspersonen stellen Lehrkräfte für Kinder wichtige Vertrauenspersonen dar, denen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren Sorgen und Problemen anvertrauen. Im Rahmen der bundesweiten Initiative »Trau dich!« werden daher, neben zentralen Bausteinen für acht- bis zwölfjährige Kinder und ihre Erziehungsberechtigten, auch Fortbildungen zu sexualisierter Gewalt im Kindesalter für Schulpersonal angeboten. Die Wirksamkeit dieser Qualifizierungsmaßnahmen wurde im Rahmen der Evaluation der bundesweiten Initiative gemessen. Die Ergebnisse werden hier kurz vorgestellt.

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Prävention sexualisierter Gewalt in der Kindheit erfordert die Stärkung schützender Strukturen durch die Aufklärung und Qualifizierung Erwachsener im Umfeld von Kindern und die gleichzeitige Förderung von Resilienz und Fähigkeiten der Kinder, die zum Selbstschutz beitragen können (Pfeffer et al., 2019, 171). Mit »Trau dich!« verfolgt die BZgA das Ziel, Erwachsene für das Thema zu sensibilisieren und ihre Handlungssicherheit zu stärken, Kinder über ihre Rechte im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention und über sexuellen Missbrauch aufzuklären sowie regionale Hilfsangebote bekannter zu machen. Hierfür richtet sich die Initiative mit drei zentralen Bausteinen an Erziehungsberechtigte, Lehr- und Fachkräfte sowie Schulkinder der dritten bis sechsten Klasse.
Schulen sind ein besonders geeignetes Setting der Prävention, da hier alle Kinder erreicht werden können. Zudem kommt Schule eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Themen der Sexual- und Gesundheitserziehung sowie der Gewaltprävention zu (Scharmanski & Hessling, 2021). Kinder wählen nicht selten ihre Lehrkräfte als Ansprechpersonen für Offenbarungen. Die Einbindung der Lehrkräfte in Präventionsprogramme ist daher essenziell. Im Rahmen von »Trau dich!« werden Lehr- und Fachkräften der teilnehmenden Schulen daher Fortbildungen zum Thema angeboten, die von kooperierenden Fachstellen vor Ort durchgeführt werden. Diese Fortbildungen haben einen Umfang von drei bis sechs Stunden und vermitteln Wissen zur Definition von sexuellem Missbrauch, zu Prävalenzen, zur Situation Betroffener, zu Strategien von Täterinnen und Tätern sowie zu Risikofaktoren und Interventionsschritten. Besondere Aufmerksamkeit wird in der Lehr- und Fachkräftefortbildung zudem auf Möglichkeiten der schulinternen Präventionsarbeit gelegt.

Informations- und Fortbildungbedarfe

Angesichts der hohen Prävalenzen von sexualisierter Gewalt im Kindesalter muss davon ausgegangen werden, dass jede Lehrkraft im Laufe ihres Berufslebens schon einmal eine Vermutung oder einen Verdacht hatte (Helming et al., 2011).
Ob und inwieweit in solchen Fällen gehandelt wird, hängt stark vom Wissen und der professionellen Haltung der jeweiligen Lehrkraft ab (Glammeier, 2019). An Schulen, an denen Lehrkräften und pädagogischem Fachpersonal umfassendere Informationen und Sensibilisierung durch Fortbildungen angeboten wurden, konnte eine höhere Bereitschaft seitens der Schülerinnen und Schüler festgestellt werden, dem Schulpersonal von eigenen Gewalterfahrungen zu berichten (Hofherr, 2018).
Die Fortbildungen im Kontext der bundesweiten Initiative »Trau dich!« dienen der Stärkung der Handlungskompetenzen von Lehrkräften und pädagogischem Fachpersonal. In ihrem Rahmen werden durch eine qualifizierte Fachkraft einer Beratungsstelle vor Ort wichtige Kenntnisse und Informationen vermittelt. Neben der Verbesserung von Handlungs- und Gesprächssicherheit der Lehrkräfte durch die Vermittlung von Wissen zum Thema, dient die Fortbildungsveranstaltung auch der Sensibilisierung für die Signale betroffener Kinder. Sie liefert Informationen über Zugänge zum Hilfesystem und dient einer stärkeren Vernetzung und Zusammenarbeit der Akteure vor Ort.
Im Verlauf dieser Veranstaltung wurden die Teilnehmenden zum Zwecke der Wirkungsmessung zweimal befragt; zuerst unmittelbar vor der Veranstaltung (t0) und ein weite res Mal unmittelbar danach (t1). Auf diese Weise konnte unter anderem die Erwartungshaltung an die Fortbildung mit der Zufriedenheit mit den präsentierten Inhalten abgeglichen werden (vgl. Erkens & Paschke, 2021). Auch wurde erhoben, wie sich die Gesprächssicherheit, die Sensibilität für die Wahrnehmung von Signalen betroffener Kinder und die Handlungssicherheit bei notwendigen Interventionen durch die Fortbildung verändert haben. Die Analyse erfolgte sowohl in Form von deskriptiven Auswertungen prozentualer Antworthäufigkeiten als auch im Vergleich von Mittelwerten.
Dass die Lehr- und Fachkräfte neben einem hohen Interesse am Thema auch einen deutlichen Informations- und Fortbildungsbedarf haben, wurde an der Frage »Wie wichtig sind Ihnen in der Fortbildung die folgenden Punkte?« ersichtlich (siehe Abbildung 1).

Abb.1

Abb.2

Abb.3

Abb.4

Abb.5

Kenntnisse zum Thema sexualisierte Gewalt im Kindesalter

Es lässt sich bei den teilnehmenden Lehr- und Fachkräften ein deutlicher Zuwachs theoretischer Kenntnisse im Bereich des sexuellen Missbrauchs feststellen. Der Kenntnisstand wurde vor der Fortbildung als eher schlecht eingestuft und verbesserte sich signifikant. Besonders hinsichtlich des Wissens über die Häufigkeit des Vorkommens von sexuellem Missbrauch und der Kenntnisse über die Situation betroffener Kinder schätzen die Lehr- und Fachkräfte ihr Wissen nach der Fortbildung deutlich besser ein als zuvor (siehe Abbildungen 2 und 3).

Handlungskompetenzen im Umgang mit sexualisierter Gewalt im Kindesalter

Neben der Vermittlung theoretischer Kenntnisse trägt die Fortbildung zudem signifikant zu einer gesteigerten Handlungssicherheit bei. Bezogen auf die Sensibilität für die Signale der betroffenen Kinder zeigt die Befragung, dass sich die teilnehmenden Lehr- und Fachkräfte nach der Fortbildung deutlich sicherer fühlen (siehe Abbildung 4).
Besonders deutlich wird der Erfolg der Fortbildung in Bezug auf die gesteigerte Handlungssicherheit bei nötigen Interventionen. Hier zeigen die Ergebnisse der Befragung auf der einen Seite, dass sich die Lehr- und Fachkräfte insbesondere Informationen zu konkreten Handlungsanleitungen wünschen, und auf der anderen Seite, dass ebendiese durch die begleitenden Fortbildungen vermittelt werden (siehe Abbildung 1 und Abbildung 5).
Der sensiblere Umgang mit vermuteten Missbrauchsfällen spiegelt sich auch in der Reaktionsweise der Lehr- und Fachkräfte hinsichtlich der Informationsweitergabe wider. Vor dem Besuch der Fortbildungen gaben die Teilnehmenden in hohem Maße an, sich »sofort« an die verschiedenen Stellen des Hilfesystems (z. B. Schulaufsicht, Jugendamt, Polizei) zu wenden. Im Nachgang der Auseinandersetzung mit angemessenen Interventionswegen im Rahmen der Fortbildung ist ein durchgängiger Rückgang zu erkennen, das Hilfesystem »sofort« informieren zu wollen (siehe Abbildung 6, Abbildung 7). Dies lässt darauf schließen, dass adäquate Vorgehensweisen innerhalb des Schulsystems nun besonnener reflektiert und abgestimmt werden.
Die bedeutsamste Veränderung in der Wahrnehmung der Fachkräfte ist die Erkenntnis, dass im Hilfesystem unterschiedliche Funktionen erfüllt werden. Demnach würden knapp zwei Drittel der teilnehmenden Lehr- und Fachkräfte die Polizei nach der Fortbildung »gar nicht / nie« informieren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie in der Fortbildung gelernt haben, dass die Polizei in Fällen von Missbrauchsvermutung ausschließlich im Sinne der Strafverfolgung agieren kann. Spezialisierte Fachberatungsstellen hingegen können umfassend im Sinne des Kindeswohls unterstützen, beraten und intervenieren. Bereits vor der Fortbildung würden sich 98 % der befragten Lehr- und Fachkräfte an eine spezialisierte Fachkraft bzw. Beratungsstelle wenden. Nach der Fortbildung sind es 100 % der Befragten (siehe Abbildung 8). Dies schließt nicht aus, dass im Kontext der Beratung durch die Fachstelle eine zusätzliche Einbindung weiterer Hilfeinstanzen (z. B. Jugendamt, Schulaufsicht) oder eine strafrechtliche Verfolgung durch die Polizei erwogen werden kann.

Fazit

Neben Eltern und Erziehungsberechtigten sind Lehrkräfte und andere pädagogische Mitarbeitende an Schulen die wichtigsten Ansprechpersonen für betroffene Kinder. Die »Trau dich!«-Lehr- und Fachkräftefortbildungen zielen daher auf die Stärkung theoretischer Kenntnisse und praktischer Handlungskompetenzen ab. Diese konnten durch die Fortbildung in mehreren Punkten gestärkt werden:

  • Lehr- und Fachkräfte wünschen sich vor allem konkrete Handlungshinweise zur Intervention und Prävention sexuellen Missbrauchs.
  • Lehr- und Fachkräfte waren besonders zufrieden mit den bereitgestellten Materialien und Informationen.
  • Durch die Fortbildungen für Lehr- und Fachkräfte konnten sowohl das Wissen zu sexuellem Missbrauch als auch die Handlungssicherheit bei Interventionen effektiv gesteigert werden.
  • Die Fortbildungen führten zu einem besonnenen Umgang mit der Weitergabe von Informationen.
  • Alle Lehr- und Fachkräfte würden sich im Vermutungsfall bedacht, aber zeitnah an eine Fachberatungsstelle wenden.

Weiterführende Informationen zur Evaluation der bundesweiten Initiative zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs: https://publikationen.sexualaufklaerung.de/materialien/evaluationen/evaluation-der-trau-dich-initiative-zur-praevention-des-sexuellen-kindesmissbrauchs/

 

Abb.6

Abb.7

Abb.8

Veröffentlichungsdatum

Christiane Erkens ist Wissenschaftliche Referentin im Referat S3 – Aufgabenkoordinierung; Nationale und internationale Zusammenarbeit; Forschung und Fortbildung der Abteilung S – Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung der BZgA.
Kontakt: christiane.erkens(at)bzga.de

 

Alle Links und Autorenangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

 

Herausgebende Institution

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
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