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FORUM 2–2017

Kostenfreier Zugang zu Verhütungsmitteln und Auswirkungen auf das Verhütungsverhalten

Evaluation eines Modellprojekts in Mecklenburg-Vorpommern

Ein Jahr lang konnten Frauen in bestimmten Regionen in Mecklenburg-Vorpommern verschreibungspflichtige Verhütungsmittel kostenfrei beziehen. Ihr Verhütungsverhalten vor, während und nach dieser Phase wurde untersucht; hier die Ergebnisse im Überblick.
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Ein Jahr lang konnten Frauen in bestimmten Regionen in Mecklenburg-Vorpommern verschreibungspflichtige Verhütungsmittel kostenfrei beziehen. Ihr Verhütungsverhalten vor, während und nach dieser Phase wurde untersucht; hier die Ergebnisse im Überblick.

Der Bezug staatlicher Transferleistungen (STL) wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Deutschland, geregelt im Sozialgesetzbuch II (SGB II), ist mit dem Verzicht auf sichere Verhütung assoziiert (Gaeckle 2006). Ergebnissen der repräsentativen Studie »frauen leben 3« zufolge nutzen Frauen, die ihre finanzielle Situation als schlecht einschätzen und zudem STL nach SGB II beziehen, seltener die Pille (– 10,6 %) oder die Hormon- bzw. Kupferspirale (– 7,4 %), dafür häufiger das Kondom (+ 14,8 %) als Frauen ohne STL-Bezug (Helfferich 2016; s. a. den Beitrag von C. Helfferich in diesem Heft). Die folgende Studie (2013–2015) untersucht, auf welche Verhütungsmethoden Frauen, die STL beziehen, zurückgreifen, wenn ihnen der kosten freie Zugang zu einer Auswahl von Verhütungsmitteln gewährt wird. Das Angebot kostenfreier Verhütung (kfV) konnte über einen Zeitraum von 12 Monaten (im Zeitraum zwischen dem 1. 11.2013 und dem 31. 10.2014) im Rahmen eines Modellprojekts in Mecklenburg-Vorpommern genutzt werden. Die Studie wurde vom Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern gefördert.

Voraussetzungen des Zugangs zu kostenfreier Verhütung im Modellprojekt

Zugangsberechtigt zu einer Auswahl verschreibungspflichtiger, reversibler Verhütungsmittel (Pille, Hormon- oder Kupferspirale, hormoneller Verhütungsring) waren Frauen mit Bezug STL nach SGB II im Alter zwischen 20 und 35 Jahren und mit Hauptwohnsitz in definierten Postleitzahlbereichen einer städtischen und ländlichen Region Mecklenburg-Vorpommerns.

Anlaufpunkte für Frauen mit Interesse am Angebot kfV waren vier Schwangerschaftsberatungsstellen in den Modellprojektregionen. Dort erfolgten die Vorlage des aktuell gültigen Bescheids über den Bezug STL sowie des Rezepts eines gynäkologischen Facharztes/einer Fachärztin über die Ver ordnung eines Verhütungsmittels aus dem Angebot kfV. Die Frauen wurden darüber informiert, dass die wissenschaftliche Evaluation des Modellprojekts eine Tablet-PC gestützte Befragung aller teilnehmenden Frauen zu ihrem Verhü tungs verhalten bei Eintritt in das Modellprojekt beinhaltet. Die Bearbeitung der Fragen erfolgte eigenständig und ohne An gabe personenbezogener Daten in der Beratungsstelle.

Waren diese Voraussetzungen erfüllt, wurde das Rezept von den Beraterinnen mit einem Stempel versehen. Dieser galt als Legitimation über den kostenfreien Bezug des jeweiligen Verhütungsmittels gegenüber der Apotheke. Diese rechnete ihre Leistungen mit dem Projektträger direkt ab. Das Gleiche galt für fachärztliche Leistungen zum Einsetzen der Spirale.

Zum Abschluss wurde in der Schwangerschaftsberatungsstelle die Bereitschaft der Frauen erfragt, an einer telefonischen oder schriftlichen Abschlussbefragung, nach Ablauf des Zugangs zu kfV, teilzunehmen. War diese gegeben, wur den die Kontaktdaten (Name, Adresse sowie Telefon nummer) schriftlich eingeholt. Auf die Freiwilligkeit, an diesem Teil der wissenschaftlichen Evaluation teilzunehmen, wurde hingewiesen.

Tab. 1 Soziodemografische Merkmale der Modellprojektteilnehmerinnen ( N= 379)

Inanspruchnahme des Angebots kostenfreier Verhütung

Insgesamt wurde das Angebot im Modellprojektzeitraum von 379 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 27 Jahren genutzt. Weitere soziodemografische Merkmale sind in Tabelle 1 dargestellt. Im aktuellen Bezugszeitraum STL und bis zur Inanspruchnahme der kfV hatte ein Anteil von 13,2 Prozent der Frauen (n =50) ausschließlich »situative« Verhütungsmethoden angewandt (z.B. Kondom, Diaphragma, Portiokappe, Koitus interruptus), weitere 5,1 Prozent hatten nicht verhütet. Im Rahmen des Modellprojekts hatten sich 116 Frauen für eine andere als die bislang genutzte Verhütungsmethode entschieden. Von diesen legten zum Zeitpunkt der Eingangsbefragung 38 (32,5 %) die Verordnung für die Pille, 62 (53 %) die Verordnung für die Hormonspirale, 15 (12,8 %) die Verordnung für die Kupferspirale und 2 (1,7 %) die Verordnung für den hormonellen Verhütungsring vor.

Subjektiv eingeschätzte Sicherheit angewandter Verhütung

Die Einschätzung der Sicherheit angewandter Verhütungsmethoden erfolgte für drei Zeitpunkte im Rahmen der Eingangs- und Abschlussbefragung. Die Abschlussbefragung fand drei Monate nach Ablauf des kostenfreien Zugangs zu kfV statt, d.h. 15 Monate nach der Eingangsbefragung. Adressiert wurden Frauen, die zum ersten Befragungszeitpunkt ihr Einverständnis zur Wiederkontaktierung erklärt und ihre Kontaktdaten zur Verfügung gestellt hatten. Dies waren 323 der 379 Frauen (85,2 %). Von diesen wurden 255 für die Abschlussbefragung erreicht (78,9 %). Je nach Präferenz der Kontaktierung erfolgte diese telefonisch oder postalisch per Fragebogen.

In der Eingangsbefragung wurde die subjektive Einschätzung der Sicherheit angewandter Verhütung vor Inanspruchnahme der kfV im Modellprojekt anhand der Frage »Wie sicher schätzen Sie Ihr aktuelles Verhütungsverhalten ein?« erfasst. Zugehörige Antwortkategorien waren »sehr sicher«, »sicher«, »weniger sicher« und »unsicher«. In der Abschluss befragung lautete die Frage: »Wie sicher schätzen Sie Ihr Verhütungsverhalten im Zeitraum der Teilnahme am Modell projekt ein?« Zudem wurde in der Abschlussbefragung, für die Zeit nach Ablauf des Zugangs zu kfV, die in der Eingangsbefragung genutzte Frage »Wie sicher schätzen Sie Ihr aktuelles Verhütungsverhalten ein?« erneut gestellt.

Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, nahm der Anteil der Frauen, die ihr Verhütungsverhalten vor Eintritt in das Modellprojekt als »weniger sicher« bzw. »unsicher« beurteilten, von 12,9 Prozent bzw. 7,8 Prozent auf 2,4 Prozent in beiden Kategorien ab. Nach Ablauf des Zugangs zu kfV nahm der Anteil der Frauen, die ihr Verhütungsverhalten als »weniger sicher« bzw. »unsicher« einschätzten, wieder leicht zu, erreichte jedoch nicht die Ausgangssituation vor Eintritt in das Modellprojekt.

Eine mögliche Ursache dafür, dass 90,3 Prozent der befragten Frauen ihre Verhütung, auch nach Beendigung des Zugangs zu kfV, als »sehr sicher« bzw. »sicher« einschätzten, kann zum einen in der Auswahl der kostenfreien Verhütungsmittel begründet sein. Wie in Abbildung 2 dargestellt, hatte sich ein Teil der Frauen mit der Wahl der Hormon- oder Kupferspirale für eine über den Modellprojektzeitraum hinausrei chen de Verhütungsmethode entschieden. Diese wird in der Regel erst in einem höheren Alter der Frau bzw. nach dem Abschluss der Familienplanung empfohlen. Zudem ist bekannt, dass Frauen, die STL beziehen, seltener die Spirale nutzen. Die Barriere, aus Kostengründen auf diese Verhütungs methode zu verzichten, entfiel durch den Leistungsumfang des Modellprojekts. Möglicherweise hat, neben der Wahl möglichkeit der Verhütungsmethode, auch die Beratung durch die Frauenärztin bzw. den Frauenarzt zu einer infor mierten Entscheidung bei der Wahl der geeigneten Verhütungsmethode beigetragen. Ein Anteil von 64 Prozent der Frauen berichtete ein solches Beratungsgespräch. Aus der Abbildung ist jedoch auch ersichtlich, dass ein Anteil von 10,6 Prozent (n =26) nach Ablauf der Zugangsberechtigung zu kfV angab, nicht zu verhüten. Nicht begründet wurde diese Entscheidung von 18 Frauen. Von den verbleibenden acht Frauen wurden die folgenden Gründe genannt: bestehender Kinderwunsch (n =3), eingetretene Schwangerschaft (n = 1), Trennung vom Partner (n = 1) sowie Unverträglichkeit genutzter Verhütungsmittel (n =3). Weitere 15 Frauen (6,4 %) nutzten im Anschluss an das Modellprojekt ausschließlich Kondome als Verhütungsmittel. Von acht Frauen wurde diese Entscheidung begründet: mit der Unverträglichkeit der Pille (n =3), der Notwendigkeit, die Spirale aus gesundheitlichen Gründen wieder zu entfernen (n =3) bzw. nicht einzusetzen (n = 1) sowie, in einem Fall, der fehlenden Bereitschaft einer Frauenärztin, die Spirale zu den für das Modellprojekt geltenden finanziellen Konditionen einzusetzen.

Abb. 1 Einschätzung der Sicherheit des Verhütungsverhaltens

Abb 2. Genutzte Verhütungsmethoden

Fazit

Die Daten dieser Studie lassen drei Schlüsse zu. Erstens bietet der kostenfreie Zugang zu Verhütungsmitteln für Frauen, die STL beziehen, die Möglichkeit, sich unabhängig von Kosten für eine Verhütungsmethode zu entscheiden. Vermutlich wird dieser Entscheidungsprozess zusätzlich von der Beratung durch die Frauenärztin bzw. den Frauenarzt positiv unterstützt. Unter der Voraussetzung des kostenfreien Zugangs werden in einem Beratungsgespräch kostenintensivere Verhütungsmittel wie die Spirale nicht von vornherein ausgeschlossen. Zweitens wird durch eine Auswahl kostenfreier Verhütungsmittel dem Anspruch an Sicherheit an Verhütung in den unterschiedlichen Phasen der Fertilität von Frauen Rechnung getragen. Der Zugang zu kfV stärkt, zumindest kurzfristig, das Empfinden der Frauen, sicherer zu verhüten als in der Zeit davor. Der substanzielle Anteil von Frauen, die im Modellprojekt eine alternative Verhü tungsmethode für sich auswählten, zeigt zudem den Bedarf und Wunsch, sicher zu verhüten. Drittens zeigen die Daten, dass ein Teil der Frauen nach Ablauf des Zugangs zu kfV entweder auf Verhütung verzichtet oder auf das Kondom als alleinige Verhütungsmethode zurückgreift. Die Gründe für diese Entscheidung scheinen vielfältig und werden nur von einem Teil der Frauen benannt. Die Unverträglichkeit zuverlässigerer Verhütungsmittel scheint dabei bedeutsam. Die Aufrechterhaltung des während der Modellprojektphase etablierten Kontakts zu Frauenärztinnen bzw. Frauenärzten scheint bei diesen Frauen besonders angezeigt, um ent sprechend dem Verlauf der Familienplanung die Nutzung alternativer Verhütungsmethoden immer wieder neu auszuloten.

Literatur

Literatur

Gaeckle, A. (2006). Familienplanung gibt es praktisch nur theoretisch - Auswirkungen von Hartz IV auf das Kontrazeptionsverhalten von Hartz-IV Empfängerinnen in Nordrhein-Westfalen im Kontext der Schwangerschafts[konflikt]beratung. Masterarbeit, Hochschule Merseburg (FH): Merseburg.

Helfferich, C. (2016). Bezug staatlicher Sozialleistungen und Verhütung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung 1/2016, S. 3–8.

 

Alle Links und Literaturangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

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Veröffentlichungsdatum

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Dr. Sabina Ulbricht

PD Dr. Sabina Ulbricht, MPH, arbeitet seit 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialmedizin und Prävention der Universitätsmedizin Greifswald. Ihre aktuellen Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung und Implementation von Präventionsmaßnahmen zu Lebensstilthemen wie z. B. Bewegung und Tabakrauchen.

 

Alle Angaben zu Autorinnen und Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Herausgebende Institution

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Frauen, die Sozialleistungen beziehen, verhüten seltener als Frauen mit mittlerem und höherem Einkommen. Sie nutzen häufiger Kondome und seltener Verhütungspille und -spirale. Die von Cornelia Helfferich geleitete Studie »frauen leben 3« im Auftrag der BZgA zeigt, dass Frauen mit geringem Einkommen aus Kostengründen unsicher verhüten und so ein ungleich höheres Risiko tragen, unbeabsichtigt schwanger zu werden.
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