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FORUM 2–2020

Frühe Hilfen – Entwicklung und Etablierung von digitalen Maßnahmen zur Unterstützung eines analogen Arbeitsfeldes

Gisela Hartmann-Kötting , Ilona Renner , Informationen zu den Autorinnen/Autoren
Frühe Hilfen finden analog statt: Der persönliche Kontakt zu Familien ist essenziell. Damit stellte der Beginn der Corona-Pandemie die Akteure in den Frühen Hilfen vor besondere Herausforderungen. Digitale Formate mussten kurzfristig entwickelt und etabliert werden.
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Frühe Hilfen finden analog statt: Der persönliche Kontakt zu Familien ist essenziell. Damit stellte der Beginn der Corona-Pandemie die Akteure in den Frühen Hilfen vor besondere Herausforderungen. Digitale Formate mussten kurzfristig entwickelt und etabliert werden.

Frühe Hilfen sind Angebote für Eltern ab der Schwangerschaft und für Familien mit Kindern bis drei Jahre. Sie richten sich insbesondere an Familien in belastenden Lebenslagen und haben zum Ziel, die Chancen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder zu verbessern. Die Angebote sollen die Beziehungs- und Erziehungskompetenz der Eltern stärken. Sie sind möglichst passgenau auf den Bedarf der jeweiligen Familie zugeschnitten. Damit dies gelingt, arbeiten Fachkräfte unter anderem aus der Kinder- und Jugendhilfe, dem Gesundheitswesen, der Schwangerschaftsberatung und der Frühförderung in Netzwerken Frühe Hilfen zusammen. Darüber hinaus sind oftmals auch freiwillig Engagierte – beispielsweise als Familienbegleitung – eingebunden. Die genaue Kenntnis des Unterstützungsbedarfs und der persönliche Kontakt zu den Familien ist eine zentrale Voraussetzung für das Gelingen Früher Hilfen.

Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie fand die Arbeit in den Frühen Hilfen vorwiegend analog statt. Insbesondere die Arbeit von Gesundheitsfachkräften (GFK) wie Familienhebammen (FamHeb) und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegenden (FGKiKP) war kaum anders als im ursprünglichen Sinne face to face vorstellbar, suchten sie doch die Familien persönlich auf, um zu unterstützen oder sie beispielsweise in einem Familienzentrum ganz individuell zu beraten.

Mit dem durch die Corona-Pandemie ausgelösten sogenannten Lockdown mussten nun kurzfristig Wege und Möglichkeiten gefunden werden, Familien zu erreichen und den Austausch im Netzwerk zu gestalten. Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) hat zeitnah reagiert: Das Online-Angebot wurde mit Empfehlungen, FAQs und Linktipps für Fachkräfte zu spezifischen Fragen und Aspekten in Coronazeiten erweitert. Gleichzeitig wurden Angebote für Familien zur Bewältigung von Krisen erarbeitet und online gestellt. Dies alles erfolgte mit Unterstützung von Landeskoordinierenden, Netzwerkkoordinierenden und weiteren Fachkräften aus den Frühen Hilfen. Zusätzlich flossen Erkenntnisse aus einer Ad-hoc-Onlinebefragung des NZFH als wichtige Grundlage ein: Gesundheitsfachkräfte in den Frühen Hilfen gaben darin Antworten auf Fragen zu coronabedingten Auswirkungen auf ihren Arbeitsalltag, zur beruflichen Situation und ihrer Wahrnehmung der Lebenssituation der betreuten Familien (https://www.fruehehilfen.de/forschung-im-nzfh/forschung-zu-corona/befragung-von-gesundheitsfachkraeften-zu-den-veraenderungen-durch-corona).

 

Erkenntnisse zu den Herausforderungen

In der Befragung, die zwischen dem 30. März und 14. April 2020 stattfand, gab jede zweite Fachkraft an, dass ausschließlich oder überwiegend Telefonberatungen anstelle von Hausbesuchen während des Lockdowns stattfanden. Gut jede vierte Fachkraft berichtete von herausfordernden, erschwerten und auch belastenden bzw. nicht zufriedenstellenden Arbeitsbedingungen: Die Betreuung leide und die Familien könnten weniger intensiv begleitet werden (22 %). Es fehle der persönliche Kontakt und das »Erleben« der Familie, telefonisch sei kein richtiger Einblick möglich (21 %). Zudem berichteten Fachkräfte von der Sorge, in den Familien etwas zu »übersehen«, weil der »Blick auf das Kind« fehle (14 %). Schwierigkeiten entstünden bei der telefonischen Beratung, insbesondere auch wegen mangelnder Deutschkenntnisse mancher Familien oder stark belastender Lebenslagen (9 %) (siehe Abb. 1). Eine Gesundheitsfachkraft beschrieb die Situation so: »Ich halte die Kontaktverbote aus medizinischer Sicht zwar für sinnvoll, aber aus psychosozialer Sicht für sehr gefährlich.«

Hinzu kamen weitere Belastungen: So gab jede dritte Fachkraft an, dass sie keine neuen Familien mehr aufnehmen konnte. Als Hauptgründe wurden vor allem Maßnahmen im Kontext der Corona-Pandemie genannt: »Keine Hausbesuche«, »fehlender Erstkontakt«, »Einschätzung fremder Familien via Telefon kaum möglich«. Aber auch, dass »Kapazitäten erschöpft« oder sie »mit bestehenden Familien und krankheitsbedingten Vertretungen ausgelastet« seien.

Um die Situation zu verbessern, wünschten sich die Gesundheitsfachkräfte verstärkt Informationen und Unterstützung zur »Finanzierung«, mehr »Orientierung« für ihre Arbeit in der Corona-Pandemie, dies in Form von Rückmeldungen und Empfehlungen, z. B. von Berufsverbänden oder dem NZFH (17 %), sowie klaren bzw. einheitlichen Regelungen, z. B. für Hausbesuche (12 %) (siehe Abb. 2).

Darüber hinaus gaben die befragten FamHeb und FGKiKP eine Einschätzung zur Situation in den Familien. Dabei wurde deutlich, dass zwei Fragen die Familien vorrangig beschäftigten: »Was dürfen wir noch?« und »Wie können wir uns schützen?«. Im Vordergrund standen dabei Informationsbedarfe zu geltenden Richtlinien wie Kontaktverbote (22 %), ob die Familien »rausgehen dürfen« (16 %) oder wie es mit »Kontakt zu Verwandten/Großeltern« aussieht (10 %).

Die Gesundheitsfachkräfte nahmen ein breites Spektrum an Sorgen, Problemen und Belastungen in den Familien wahr. Zentral waren dabei existenzielle Ängste (24 %) sowie die Überforderung mit der gegenwärtigen Situation (22 %). Probleme bereiteten vor allem die Umstände zu Hause. Fast alle Familien lebten auf engstem Raum zusammen und hätten wenig Rückzugsmöglichkeiten. Hinzu kamen Sorgen vor familiären Konflikten (19 %) und die Ungewissheit über die Dauer dieser Situation (21 %). Eine Rückmeldung dazu: »Kinderbetreuung fällt weg, man darf nicht auf die Spielplätze ... Die Belastungen für die Familien sind größer. Sie bräuchten zum Teil eher mehr Unterstützung als weniger.« (siehe Abb. 3)

Bestätig wurden diese Ergebnisse durch die COSMO-Befragungen in den Wellen 5, 7 und 9: Haushalte mit Kindern unter 14 Jahren erleben die Situation im Lockdown als deutlich belastender als Haushalte ohne Kinder im Alter unter 14 Jahren (siehe Abb. 4).

Die COSMO-Befragungen erheben seit März 2020 Daten zu Wahrnehmung, Wissen und Verhalten der Bevölkerung in der Corona-Pandemie. Verantwortlich für die Studie ist ein Konsortium, an dem auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das Robert-Koch-Institut (RKI) beteiligt sind. Ziel ist es, Informations- und Unterstützungsbedarf der Bevölkerung zu erkennen, um passende Maßnahmen entwickeln und anbieten zu können. Dabei steht neben der körperlichen auch die psychische Gesundheit im Fokus. Die repräsentative Wiederholungsbefragung wird wöchentlich, in »Wellen«, als bundesweit repräsentative Onlineerhebung durchgeführt, jeweils mit ca. 1000 Personen der deutschsprachigen Wohnbevölkerung.

Die möglichen Folgen der familiären Belastungen schilderten die Gesundheitsfachkräfte in den Frühen Hilfen in der NZFH-Befragung. Auf die offene Frage: »Welche Risiken und Gefahren sehen Sie aufgrund der Corona-Krise insbesondere für Familien in belastenden Lebenssituationen?«, nannten 45 Prozent der Gesundheitsfachkräfte ein »höheres Gewaltpotenzial« in Familien. Auf die konkrete Frage: »Sehen Sie in den von Ihnen betreuten Familien aufgrund der Coronakrise ein verändertes Risiko für Gewalt?« antworteten knapp zwei Drittel (62 %) mit »Ja«. Fast jede fünfte Fachkraft (19 %) nahm zum Zeitpunkt der Umfrage bereits erste Anzeichen von erhöhtem Gewaltrisiko in Familien wahr (siehe Abb. 5).

Um dem erhöhten Risiko für Gewalt in den Familien zu begegnen, sehen die Fachkräfte vor allem sich selbst in der Pflicht. Die Bedeutung von Begleitung und Unterstützung der betreuten Familien werde im Rahmen der Pandemie noch einmal belegt: Neben der Möglichkeit, bei Bedarf weiterhin Hausbesuche durchführen zu können (33 %), wird eine engmaschige, regelmäßige Betreuung der Familien als zentral angesehen (28 %). Dabei ist einem Viertel der Gesundheitsfachkräfte das Angebot entlastender Telefonate bzw. das Signalisieren von Gesprächsbereitschaft und Erreichbarkeit (25 %) wichtig. Konkret schlagen sie vor: Strategien und Tipps zur Entspannung, Entlastung und zur Schaffung von Freiräumen/Auszeiten zu geben (22 %); Ideen zur Alltagsstrukturierung, Tages- und Wochenplanung (14 %) aufzuzeigen; zur Bewegung drinnen und draußen zu motivieren (14 %) (siehe Abb. 6).

 

Onlineangebote des NZFH für Familien

Dem Bedarf der Eltern nach entlastenden Gesprächen ging das NZFH in einem ersten Schritt kurz nach Beginn des Lockdowns nach: Auf seiner Internetseite elternsein.info veröffentlichte es eine Übersicht an professionellen und ehrenamtlichen kostenlosen Telefon- und Onlineberatungen für Eltern und Schwangere. Das Angebot wurde nicht nur über die Webseiten des NZFH www.elternsein.info und www.fruehehilfen.de beworben, sondern auch über den E-Mail-Kurznachrichtendienst des NZFH, über Social-Media-Plattformen wie den Twitterkanal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie flankierend – ganz analog – über eine Postkarte an fünf Millionen Haushalte in Deutschland, in denen Kinder- und Jugendliche leben.

Darüber hinaus hat das Nationale Zentrum Frühe Hilfen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) kurzfristig über 50 Module mit Ideen und Tipps entwickelt, die auf elternsein.info veröffentlicht sind. Die Ideen und Tipps sind leicht umsetzbar, denn um zu Hause besser klarzukommen, helfen oft schon einfache Dinge, die Stress reduzieren, den Zusammenhalt stärken und Freude bereiten können. Die Module bieten Anleitungen, zum Teil ergänzt durch Videos. Sie sind in fünf Kategorien unterteilt: »Stark werden und stark bleiben«, »Als Eltern entspannt und gelassen bleiben«, »Dinge, die uns Hoffnung geben«, »Als Familie stark bleiben« und »Gemeinsam etwas Schönes tun«. Bis Anfang 2021 wächst das Angebot noch auf rund hundert Module.

 

Onlineangebote des NZFH für Fachkräfte

Fachkräfte in den Frühen Hilfen standen zu Beginn der Corona-Pandemie vor einer nie da gewesenen Herausforderung. Ihre eigene Lebenssituation und zugleich die ihrer Klienten hatte sich von einem Tag auf den anderen grundlegend geändert. Es traten zahlreiche Fragen auf: Wie kann die praktische Arbeit und Begleitung von Familien überhaupt noch geleistet werden? Ist eine aufsuchende Betreuung und Beratung von Familien möglich? Und was muss dabei beachtet werden? Müssen telefonische Kontakte, Video-Telefonate oder Chats dokumentiert werden? Was muss beim Datenschutz in der Beratung von Eltern beachtet werden? Wo gibt es Tools zur digitalen Zusammenarbeit? Und: Fördert die Bundesstiftung Frühe Hilfen auch die nun verstärkt notwendig gewordenen digitalen Angebote?

Parallel zum Ausbau der Angebote für Familien erstellte das NZFH auf seiner Internetseite www.fruehehilfen.de einen umfangreichen Contentbereich, der diese und über 40 weitere Fragen aufgreift und Antworten liefert. Die Inhalte umfassen angesichts der neuen Herausforderungen Empfehlungen für die Arbeit und Begleitung von Familien, zur aufsuchenden Arbeit, zum Kinderschutz und zur Arbeitsorganisation. Sie bieten Antworten auf Fragen zu Fördermöglichkeiten durch die Bundesstiftung Frühe Hilfen sowie zu arbeitsrechtlichen Regelungen. Die Seite informiert über hilfreiche Materialien zur Weitergabe an Eltern. Sie nennt über 20 Praxisbeispiele und bietet eine umfangreiche Sammlung von Links zu Institutionen, Fachgesellschaften und Ministerien. Und sie gibt eine Übersicht über Stellungnahmen im Zusammenhang mit Corona von Fachgesellschaften, Verbänden, Hochschulen und Kooperationspartnern des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH).

Gleichzeitig hat das NZFH die überarbeitete und modular weiterentwickelte Dokumentationsvorlage für Gesundheitsfachkräfte in den Frühen Hilfen als digitales Tool herausgegeben. Die einzelnen Module: »Bedarfserhebung und Clearing«, »Beginn der Betreuung«, »Verlauf der Betreuung« und »Abschluss der Betreuung«, gliedern sich in weitere Bausteine und erleichtern die strukturierte Arbeit mit Familien.

Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) wurde 2007 vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit dem Ziel gegründet, die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern, insbesondere aus belasteten Familien, möglichst frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Träger des NZFH ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut e. V. (DJI). Seinen Sitz hat das NZFH in der BZgA. Die beiden Häuser bringen ihre jeweiligen Erfahrungen und Kompetenzen aus der Gesundheitsförderung und aus der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe ein. Sie sind in ihren Fachgebieten und Arbeitsfeldern gut verankert und haben Zugang zu relevanten Akteurinnen und Akteuren.

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Veröffentlichungsdatum

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Gisela Hartmann-Kötting

Koordinatorin für den Bereich Kommunikation im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Kontakt: gisela.hartmann-koetting(at)nzfh.de

 

Ilona Renner

Koordinatorin für den Bereich Forschung im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Kontakt: ilona.renner(at)nzfh.de

 

Alle Angaben zu Links und Autorinnen/Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

 

Herausgebende Institution

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