Was beschäftigt Jugendliche?
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Zukunftsperspektiven der Jugendlichen1
Für ihr persönliches Leben zeigen sich die Jugendlichen optimistisch, zufrieden und resilient; die allgemeine Zukunft löst bei ihnen jedoch überwiegend Skepsis aus.
Der Blick in die persönliche Zukunft ist 2023 unter den Jugendlichen wieder deutlich positiver als 2022 und erreicht fast das Niveau von 2021: So äußern sich auf die Frage, ob man optimistisch oder pessimistisch in die eigene Zukunft blickt, 79 % (eher) optimistisch.
Die Zukunft der Gesellschaft in Deutschland sehen die Jugendlichen ebenfalls wieder etwas optimistischer als 2022 (2023: 48 %, 2022: 43 %), allerdings sind sie in dieser Frage offensichtlich gespalten. Zudem liegen die Werte noch weit unter der fast Zweidrittel- Mehrheit der Jugendlichen, die 2021 trotz Corona ein positives Bild der Zukunft Deutschlands gezeichnet haben. Am kritischsten bewerten die Jugendlichen aber die Aussichten für die Welt: Hier schauen die meisten Befragten (59 %) nach wie vor mit Sorge in die Zukunft – was angesichts manifester Stapelkrisen weltweit nicht verwundert (siehe Abbildung 1).
Erstaunlicherweise bewegt sich aber die Lebenszufriedenheit der 14- bis 17-Jährigen, trotz aller Sorgen und der immer noch mehrheitlich pessimistischen Bewertung der Zukunft von Land und Welt, 2023 auf einem Höchststand (81 %). Weniger erstaunlich ist dagegen, dass es laut Datenlage in allen drei Jahren insgesamt geringeren persönlichen Zukunftsoptimismus und geringere Lebenszufriedenheit in den bildungsbenachteiligten und prekären Gruppen gibt.
Die großen Krisen der Zeit gehen nicht spurlos an den Jugendlichen vorüber
Kriege sind wie im Vorjahr für eine Mehrheit der Jugendlichen das größte Sorgenthema für die Zukunft: Bei 53% von ihnen lösen sie große Sorgen aus (Werte 8–10 auf einer 10er-Skala). Aber auch Klimawandel und Umweltverschmutzung stehen bei fast der Hälfte der Jugendlichen weiterhin hoch oben auf der Sorgenskala (siehe Abbildung 2).
Artensterben, Armut, Migration, Energie- und Wirtschaftskrisen sind für ca. ein Drittel der Jugendlichen Grund zu großer Sorge, wobei Energiekrisen mittlerweile – wohl nach der Erfahrung des letzten Winters – für die Jugendlichen deutlich an Brisanz verloren haben. Wohnraumnot und Freiheitseinschränkungen schließen 2023 dahinter auf mit Krankheiten und Pandemien, die fast unverändert für 27 % im Fokus großer Sorgen stehen.
Fast ein Drittel der bildungsbenachteiligten Jugendlichen macht sich starke Sorgen um (Aus-)Bildung und Arbeitsplatzsuche, während die anderen Gruppen sich bei diesen Themen eher entspannt geben, was zu ihrer positiven Einschätzung der eigenen Zukunftsperspektiven und Lebenszufriedenheit passt. Auch das Thema Künstliche Intelligenz birgt für die meisten Jugendlichen wenig Sorgenpotenzial.
Insgesamt machen sich Mädchen bei allen abgefragten Themen größere Sorgen als Jungen. Und es scheint bei bildungsbenachteiligten Jugendlichen wie in den Vorjahren eine Agglomeration und Verschränkung von Sorgen hinsichtlich (Aus-)Bildung und Arbeitsplatzsuche mit Sorgen bezüglich Armutsgefahr, Krankheit, Wohnungsnot und Migration zu bestehen.
Gesundheit ist für Jugendliche ein elementares Gut
Soziale Eingebundenheit hat auch 2023 für die Jugendlichen einen äußerst hohen Stellenwert. So kommt Familie und Freund*innen2 unter Alltagsthemen weiterhin die größte Bedeutung zu. Aber selbst für die altersgemäß gesundheitlich meist noch von Einschränkungen verschonten Jugendlichen rangiert Gesundheit direkt im Anschluss (und für die Zukunft erwarten mehr als die Hälfte einen weiteren Bedeutungszuwachs dieses Themas). Schule, Beruf und Karriere, aber auch Aussehen, Fitness sowie Liebe und Partnerschaft sind dem nachgeordnet, bleiben aber wichtige Themen (siehe Abbildung 3).
Der Klimawandel ist nach wie vor ein sehr präsentes Thema
Klimawandel als Thema hat insgesamt seit 2021 etwas an Wichtigkeit eingebüßt. Dennoch ist er für fast die Hälfte der Jugendlichen weiterhin sehr wichtig (Werte 8–10 auf einer 10er-Skala), und er macht nahezu unverändert vielen Jugendlichen große Angst.
Was aber fürchten Jugendliche konkret? Am meisten fürchten die Jugendlichen auch 2023 eindeutig die Zunahme extremer Wetterphänomene wie Hitzewellen, Starkregen und Stürme: 56 % der Jugendlichen wählen dies in ihre Top-3-Auswahl negativer Folgen. Vor dem Hintergrund vergangener Jahre überrascht dies nicht. An zweiter Stelle rangiert die Furcht vor dem Verlust von Lebensraum für Tiere und Menschen (45 %).
Verstärkte Migration als Folge des Klimawandels ist für mehr Jugendliche Grund zur Sorge als in den Jahren zuvor. Dennoch rangiert Migration wie auch wirtschaftliche Schäden weiterhin am Ende der Besorgnisskala. Keine Angst vor konkreten Folgen hat weiterhin nur eine verschwindende Minderheit (6 %) (siehe Abbildung 4). Auffällig ist, dass obwohl »nur« für ein Viertel der Jugendlichen negative Folgen für die Gesundheit unter die drei am meisten gefürchteten Folgen des Klimawandels gehören, bei separater Frage eine Mehrheit der Jugendlichen dennoch damit rechnet, dass der Klimawandel insgesamt negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben wird (ohne Abbildung). Tropische Erkrankungen gelten dabei mit Abstand als das größte zu erwartende gesundheitliche Problem auf der Liste. Aber das Spektrum der vermuteten Folgen ist breit. Oft können die Jugendlichen sich auch nicht auf etwas Bestimmtes festlegen.
Nichts gegen den Klimawandel zu tun ist für die meisten Jugendlichen keine Option
Entgegen häufig geäußerten Zweifeln in der Gesellschaft ist die persönliche Handlungsbereitschaft unter Jugendlichen weiterhin stark ausgeprägt. Besonders bei Mobilitätsaspekten und Verpackungsfragen sind die Bereitschaft und der Konsens hoch. Auch zu Einschränkungen beim Duschen, Heizen, bei Flugreisen oder Einkaufswünschen wäre eine Mehrheit bereit. Bei digitaler Mediennutzung sowie dem Ernährungsverhalten (Verzehr von Fleisch, Konsum von Milchprodukten) ist radikaler Verzicht allerdings nach wie vor (trotz steigender Bereitschaft) nicht mehrheitsfähig (siehe Abbildung 5).
Insgesamt zeigen auch im Jahr 2023 Mädchen hohe, bereits benachteiligte und bildungsfernere Jugendliche eher verhaltene Handlungsbereitschaft.
Eine Schattenseite des »always on«: Cyber-Mobbing
Ein Leben ohne Handy und Social Media, ohne digitales Eingebundensein, ist für Jugendliche kaum vorstellbar (und auch nicht erstrebenswert), aber es geht damit auch eine besorgniserregende kontinuierliche Zunahme der Erfahrungen mit Cyber-Mobbing einher (von 51 % im Jahr 2021 auf 61 % 2023). Gleichzeitig nimmt die Anzahl der Jugendlichen ab, die Erfahrungen mit Cyber-Mobbing nicht angeben können (oder wollen). Dies könnte weniger Scham, einem höheren Problembewusstsein und/oder einem besseren Einordnen-Können geschuldet sein, was Cyber-Mobbing ist und wo es beginnt. Noch nie etwas von Cyber-Mobbing mitbekommen zu haben bekunden nur 28 % der Jugendlichen.
Rückzugsorte bzw. Mobbing-freie Zonen scheint es kaum noch zu geben; die Jugendlichen nehmen die Attacken per Smartphone mit bis ins eigene Zimmer. Cyber-Mobbing findet dabei auch 2023 vor allem auf WhatsApp statt; TikTok überholt Instagram. Facebook nimmt jede*r Fünfte und YouTube gut jede*r Zehnte als Kanal wahr, auf dem Cyber- Mobbing stattfindet. Auch 2023 werden hinsichtlich Formen von Cyber-Mobbing am häufigsten Beleidigungen ausgesprochen und Gerüchte in die Welt gesetzt. Der Ausschluss aus Gruppen geht aus Sicht der Jugendlichen dagegen zurück (siehe Abbildung 6).
Wer und was hilft bei Cyber-Mobbing?
Wenn gefragt, an wen man sich im Fall von Cyber- Mobbing wendet oder wenden würde, bleibt das Nahumfeld nach wie vor die bevorzugte Anlaufstelle: Drei Viertel der Jugendlichen nennen hier ihre Eltern. Aber auch bei Freund*innen (46 %) sowie bei Lehrkräften und Tutor*innen (24 %) würde man Unterstützung suchen. Andere Fachkräfte und/ oder Institutionen/Stellen haben wenig(er) Jugendliche auf dem Schirm. Die Anzahl derer, die sich an niemanden wenden (würden) bzw. Cyber-Mobbing ignorieren oder es selbst lösen möchten, nimmt gegenüber 2022 zwar wieder deutlich ab, ist aber weiterhin ungut hoch (24 %) (ohne Abbildung). Im Ernstfall haben die Eltern von tatsächlich betroffenen Jugendlichen auch als Einzige mehrheitlich Hilfe geleistet. Bei den 15 %, denen laut Eigenaussage niemand geholfen hat, muss offenbleiben, ob Hilfe nicht gewollt war, nicht gewährt wurde oder die betroffenen Jugendlichen sich niemanden als Hilfe vorstellen konnten und deshalb auch nicht gefragt haben. Psychisch belastend bleibt es allemal (siehe Abbildung 7).
Was kann aber konkret getan werden? In Bezug auf Maßnahmen, die bei Cyber-Mobbing angewendet werden können, bewertet eine recht deutliche Mehrheit auch 2023 die meisten vorgeschlagenen als hilfreich. Nur Ignorieren wird als wenig zielführend betrachtet, d. h., alles scheint besser, als nichts zu tun. Auch an dieser Stelle ist die Unterstützung der Eltern zentral, wie auch die Unterstützung durch Freund*innen (Bekenntnis zu den Gemobbten, Ansprechen auf die Situation, Konfrontation der Mobber*innen). Vor allem formal Niedriggebildete wünschen sich ein hartes Durchgreifen (Polizei einschalten, Schulverweis der Mobber*innen). Gut zwei Drittel aller Jugendlichen sehen auch Selbstwirksamkeit bei den Gemobbten (sich aktiv wehren).
Wenn sich Lehrkräfte und Schulleitung einschalten und die Mobber*innen konfrontieren, befürworten dies 64 % der Jugendlichen. Dennoch wird – wie auch bei den Anlaufstellen – deutlich, dass die Jugendlichen der Einschaltung von Schule und Lehrkräften im Kontext Cyber-Mobbing nicht allererste Priorität einräumen. Die Jugendlichen sind zudem auch 2023 relativ skeptisch gegenüber schulischen Aktivitäten und Angeboten eingestellt und sehen trotz Verbesserung gegenüber dem Vorjahr immer noch häufig entweder kein oder kein hilfreiches Konzept.
Zur Vermeidung von Cyber-Mobbing bleiben für Jugendliche über alle Erhebungen hinweg konsequentes Löschen von mobbenden User*innen und auffälligen Posts, eine zentrale Erfassungsstelle und (noch) mehr Aufklärung die Hauptstellschrauben (ohne Abbildung).
Künstliche Intelligenz gehört inzwischen zur Alltagsrealität
Die meisten Jugendlichen sind mit Künstlicher Intelligenz (KI) begrifflich und inhaltlich vertraut – zumindest geben 64 % an, nicht nur den Begriff zu kennen, sondern auch erklären zu können, worum es sich handelt. Bei konkret abgefragten Anwendungen hängt die Bekanntheit stark von Lebensweltnähe, medialer Präsenz und nicht zuletzt dem Bildungsniveau ab. Zudem ist auffällig, dass sich Mädchen deutlich zurückhaltender hinsichtlich der Bekanntheit von KI-Tools äußern . Hier scheint sich ein Bildungs- und Gender-Gap zu entwickeln, der im Sinne einer zukunftsfähigen Gesellschaft nicht gewünscht sein kann. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass Bekanntheit nicht automatisch häufiger Umgang heißt: Bei der Nutzung von KI sind die Jugendlichen nach eigener Aussage noch zurückhaltend. Offensichtlich erkennen sie dabei »hidden uses« auch nicht immer. Was die meisten Jugendlichen aber eint, ist das hohe Interesse an Informationen (69 % Zustimmung); deutlich weniger fühlen sich jedoch gut informiert (54 %). Es besteht also insgesamt ein gewisser Informations- Gap bei den Jugendlichen (ohne Abbildung).
Euphorie löst das Thema Künstliche Intelligenz nicht aus und es wird von vielen eher neutral bewertet. Vor allem die bildungsnahe Mitte der jugendlichen Lebenswelten erwartet positive Auswirkungen auf das eigene Leben. Bereits sozial benachteiligte Jugendliche sind hier skeptischer, aber auch manche formal Hochgebildeten haben (eher grundsätzliche) Zweifel. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft werden allgemein etwas negativer als die auf das persönliche Leben bewertet (ohne Abbildung).
Insgesamt verbinden mehr Jugendliche mit KI große Chancen als große Risiken, was aber nicht bedeutet, dass das Risikopotenzial kleingeredet wird. Es herrscht eher eine ausgesprochene »Sowohl als auch«-Attitüde vor: Kreuzt man die Antworten zu Chancen und Risiken, dann geht eine Mehrheit der Jugendlichen von einem Gleichgewicht von Chancen und Risiken aus. In anderen Worten: Die Jugendlichen haben keine Angst vor KI, da sie viele Chancen bietet, sehen aber gleichzeitig die Notwendigkeit eines (reflektierten) Umgangs mit den zweifelsfrei vorhandenen Risiken (siehe Abbildung 8).
Studiendesign
Befragt wurden anhand eines standardisierten Online- Fragebogens in jeder Erhebung rund 2 000 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren, repräsentativ für Deutschland nach Alter, Geschlecht, Bildung und Region. In allen Studien wurden Fragen zu Zukunftsoptimismus und Lebenszufriedenheit, Cyber- Mobbing sowie Klimawandel und Gesundheit erhoben; jahresspezifisch kamen Corona, Künstliche Intelligenz und Gesundheitsinformationsverhalten hinzu – wobei die Themen durchaus inhaltlich-interpretatorisch Überschneidungspotenzial aufweisen.
Zitation
Möller-Slawinski, H. (2024). Was beschäftigt Jugendliche? FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 1, 35–44.
Veröffentlichungsdatum
Heide Möller-Slawinski ist Senior Research & Consulting im SINUS-Institut Heidelberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Sozialforschung in den Themenbereichen Gesundheit, Jugend, Familie, Gleichstellung, Migration und gesellschaftliche Implikationen der Digitalisierung. Sie ist zudem national und international als Referentin für Gesundheits-, Familien- und Jugendthemen und Interviewpartnerin für Rundfunk und Fachmagazine tätig.
Kontakt: heide.moeller-slawinski(at)sinus-institut.de
Alle Links und Autorenangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.
Herausgebende Institution
Artikel der Gesamtausgabe
- Wer sind »die 14- bis 17-jährigen Jugendlichen«?
- Krieg, Pandemie und Zukunft: Was Jugendliche bewegt
- Mädchen in der Krise – Wertewandel bei der Familienplanung
- Diskriminierung von Jugendlichen an Schulen. Ergebnisse aus »ICCS 2022«
- Lebenslagen, Wohlbefinden und Perspektiven Jugendlicher in Deutschland und Frankreich
- Was beschäftigt Jugendliche?
- Nackt im Netz – Porno, Sexting, Missbrauch
- Jugend online
- Kinder- und Jugendarmut in Deutschland
- Prävention psychischer Belastungen und Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter
- Macht Diskriminierung krank? Die psychische Gesundheit von LSBTQI*-Menschen
- LIEBESLEBEN-Beratung zum Schutz vor Konversionsbehandlungen
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- Eine repräsentative Wiederholungsbefragung zum Sexual- und Verhütungsverhalten junger Menschen in Deutschland
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