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FORUM 1–2024

LIEBESLEBEN-Beratung zum Schutz vor Konversionsbehandlungen

Johannes Breuer , Roswitha Piesch , Christoph Sonnefeld , Informationen zu den Autorinnen/Autoren
Konversionsbehandlungen – Maßnahmen, die darauf zielen, die sexuelle Orientierung und/oder die geschlechtliche Identität einer Person zu ändern oder zu unterdrücken – sind seit über vier Jahren in vielen Fällen gesetzlich verboten. Doch das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen (KonvBehSchG) umfasst noch mehr: ein Informations- und Beratungsangebot, das die BZgA im Rahmen der komplexen Intervention LIEBESLEBEN zur Förderung sexueller Gesundheit umsetzt.

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Einleitung

Queere1 Jugendliche stehen vor den gleichen alterstypischen Entwicklungsaufgaben wie alle Jugendlichen. Fragen der Selbstfindung, der Zugehörigkeit und der eigenen Identität sind zentral. Gleichzeitig bestehen jedoch auch besondere Herausforderungen, die vom gesellschaftlichen Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt geprägt sind. So bildet oft gerade das Coming-out eine sensible Phase, die mit vielen Unsicherheiten und Zweifeln hinsichtlich der Reaktionen anderer und insbesondere des persönlichen Umfelds verbunden sein kann (vgl. Krell & Oldemeier, 2015). Hinzu kommen Diskriminierungserfahrungen, denn wenngleich in den letzten Jahrzehnten die Akzeptanz gegenüber queeren Menschen insgesamt zugenommen hat, so bestehen nach wie vor Anfeindungen und Pathologisierungen (vgl. Pöge et al., 2020). Einstellungen und Werte, die queerfeindliche Haltungen und auch Handlungen schüren, sind nach wie vor verbreitet – allein über 15 % der erwachsenen deutschen Wohnbevölkerung stimmen der Aussage: »Es ist ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen!«, eher oder voll und ganz zu (Zick, Küpper & Mokros, 2023). Acht von zehn queeren Jugendlichen erleben Diskriminierung in der Öffentlichkeit, aber auch im privaten Umfeld und in der Familie (vgl. Krell & Oldemeier, 2015) – hier nehmen die »Berührungsängste« sogar zu, je näher das Thema Queerness rückt: So wäre es ca. 12 % der Bevölkerung in Deutschland ab 16 Jahren eher oder sehr unangenehm, wenn eine Person aus dem Arbeitsumfeld schwul oder lesbisch wäre, während es ca. 40 % eher oder sehr unangenehm wäre, wenn das eigene Kind schwul oder lesbisch wäre (Küpper, Klocke & Hoffmann, 2017). 

Gerade für junge Menschen kann dies zu erheblichen Belastungen führen. Noch immer wird eine heterosexuelle Cis*2-Geschlechtlichkeit als »normal« und normgebend angesehen. Und dahingehend bilden Cis*- und Heteronormativität immer noch die wesentlichen Strukturbedingungen für die Entwicklung der sexuellen und geschlechtlichen Identität von Jugendlichen. Dies kann Druck ausüben auf Jugendliche, die sich jenseits dieser Normen bewegen. Es eröffnet zudem ein Einfallstor für Anbietende von Konversionsbehandlungen, die diese vulnerable Situation queerer Jugendlicher ausnutzen und ihnen zu vermitteln versuchen, dass sie in ihrem Queer-Sein »falsch« seien. 

Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen

Konversionsbehandlungen stellen eine erhebliche Gefährdung dar; sie bedrohen die Gesundheit, die Selbstbestimmung und die Existenz queerer Personen. Diese Gefahren samt den gesundheitsschädlichen Folgen, die bis zu Suizid führen können (vgl. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, 2019), wurden vom Gesetzgeber erkannt und führten 2020 zum Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen (KonvBehSchG). Dieses verbietet mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe die Durchführung jener Pseudo-Therapien bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Personen, deren Einwilligung auf einem Willensmangel beruht. Außerdem ist das Werben, das Anbieten und das Vermitteln in jedem Fall untersagt (vgl. BZgA/LIEBESLEBEN, 2024). 

Neben diesen klaren rechtlichen Rahmenbedingungen, die Gefährdungen für queere Personen adressieren, wird mit dem Gesetz auch die Präventions- und Aufklärungsarbeit gestärkt, denn §4 KonvBehSchG sieht ein Beratungs- und Informationsangebot durch die BZgA vor. Das Angebot richtet sich sowohl an Betroffene von Konversionsbehandlungen und ihre Angehörigen als auch an »alle Personen, die sich aus beruflichen oder privaten Gründen mit sexueller Orientierung und selbstempfundener geschlechtlicher Identität befassen oder dazu beraten« (§4 KonvBehSchG). Dabei werden unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt: Es gilt, akute Gefährdungen durch Konversionsbehandlungen zu verringern und Betroffene zu unterstützen, aber auch den gesellschaftlichen Normwandel hin zu mehr Akzeptanz gegenüber queerer Vielfalt zu fördern und Konversionsbehandlungen motivierende Einstellungen abzubauen (BT-Drucksache 19/17278, 2020). 

Entsprechend diesen Zielsetzungen hat die BZgA in Beteiligung queerer Personen aus unterschiedlichen Communitys ihre komplexe Intervention LIEBESLEBEN Ende 2020 um das Themenfeld »Schutz vor Konversionsbehandlungen« erweitert.3 Der Schutz vor Konversionsbehandlungen wird seitdem in einem ausgewogenen Medien- und Maßnahmen-Mix angegangen: Dies umfasst zum einen Maßnahmen, die stärker auf die Vermittlung wissensbezogener Botschaften wie etwa des gesetzlichen Verbots oder auf die Stärkung eines selbstakzeptierenden Verhaltens queerer Personen zielen. Zum anderen werden Maßnahmen umgesetzt, die einen Beitrag zur Bildung von Normen sowie zum Empowerment leisten und damit die Grundlage für nachhaltige Veränderung, etwa in der gesellschaftlichen Ächtung von Konversionsbehandlungen, darstellen. Beides geschieht auf unterschiedlichen Ebenen und es werden sowohl massenmediale Kanäle, Social-Media- und PR-Maßnahmen als auch tiefergehende kommunikative Angebote, etwa in der Online-Kommunikation über www.liebesleben.de genutzt. Ebenso werden verhältnisbezogene Dimensionen berücksichtigt, etwa in der Aufklärung von Fachkräften, sodass die Maßnahmen von LIEBESLEBEN zur Strukturbildung beitragen und eine gesundheitsförderliche Umwelt mitgestalten. Ein Kernstück ist dabei die personalkommunikative Telefon- und Online-Beratung von LIEBESLEBEN (vgl. auch Breuer, 2024 sowie Abbildung 1)

Die Telefon- und Online-Beratung von LIEBESLEBEN

Das personalkommunikative, anonyme Beratungsangebot der BZgA richtet sich an von Konversionsbehandlungen gefährdete oder betroffene Personen; es informiert aber auch alle anderen Personen, die sich mit den Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt beschäftigen. Dadurch können konkrete Anliegen, Fachfragen, aber auch akute Problemstellungen geklärt und weiterführende Informationen sowie ggf. auch Überführungen in lokale Hilfesysteme ermöglicht werden, um Gesundheitsgefährdungen durch Konversionsbehandlungen zu reduzieren oder zu vermeiden. Die Beratung übernimmt in dieser Hinsicht oft eine Verweisfunktion und wird in der Regel als Erstberatung geführt, um teils auch akute Situationen aufzufangen und weitere Unterstützungsangebote zu vermitteln (siehe auch Abbildung 2).

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass sehr unterschiedliche Anfragen auftreten und das Angebot von allen Personengruppen inklusive Fachkräften genutzt wird. Oft werden in der Beratung – neben Fachfragen und spezifischen Wissensanliegen – gerade von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entlastende Gespräche gesucht, etwa zur familiären Situation, zu queerfeindlichen Gewalterfahrungen oder zu Fragen rund um das Thema Coming-out. Dabei werden Räume eröffnet, die es ermöglichen, das Spannungsverhältnis zwischen eigener Queerness und gesellschaftlichen Einstellungen zu reflektieren. In diesem Rahmen findet mitunter auch eine Aufklärung über die Gefahren von Konversionsbehandlungen und damit verbundene Falschannahmen statt.4 Somit wird ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor jenen Pseudotherapien geleistet, da hier präventiv gewirkt wird und statt des Wunsches nach Änderung der sexuellen oder geschlechtlichen Identität, welche fälschlicherweise durch Konversionsbehandlungen in Aussicht gestellt wird, Selbstakzeptanz gefördert wird. 

Die Beratung folgt dabei unterschiedlichen Prinzipien, die teils auch gesetzlich verankert sind (vgl. BT-Drucksache 19/17278, 2020): 

  • Vertraulichkeit: Da die Beratung anonym ist, werden personenbezogene Daten nicht explizit erhoben oder erfragt. Auch freiwillige Angaben werden nicht auf den Einzelfall beziehbar erfasst. Dies schafft einen niedrigschwelligen und sicheren Raum für Beratungsanliegen. Dies vermeidet zugleich eine zu enge Klient*innen-Bindung.
     
  • Ergebnisoffenheit: Personen werden je nach An-liegen über ihre Rechte sowie das KonvBehSchG aufgeklärt und ggf. falsche Informationen, die etwa in der Konversionsbehandlung vermittelt wurden, richtiggestellt. Die Beratung erfolgt jedoch unabhängig und offen, da die Entscheidung über Handlungen wie etwa die Erstattung einer Anzeige allein bei den Betroffenen liegt.
     
  • Anerkennung: Ratsuchende werden ernst genommen und ihren Aussagen wird Glauben geschenkt. Dadurch werden die Betroffenen mit ihren Erfahrungen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt gestellt und gleichzeitig die Gesamtsituation berücksichtigt. So kann etwa auch einer Verschiebung von Verantwortung entgegengewirkt werden und Betroffene können von ihren Schuld- und Schamgefühlen in Bezug auf die ggf. strafbare Konversionsbehandlung entlastet werden. 
     
  • Fachlichkeit: Die Beratung verfolgt einen hohen fachlichen Anspruch, der teils auch sehr spezifisches Wissen bei den Beratenden verlangt. Durch diese Dimension steht das Angebot in Ergänzung zu allgemeinen unterstützenden Angeboten wie der Seelsorgearbeit, aber auch zu Peer-to-Peer-Angeboten, die oft eher über Erfahrungswissen verfügen.
     
  • Empowerment: Ratsuchende werden darin unterstützt, selbstbestimmt über ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu entscheiden, diese zu vertreten und gestalten zu können. Dazu werden im Rahmen von Beratungsgesprächen die Ressourcen und Netzwerke der Anfragenden wahrgenommen und gestärkt. 

  • Kultursensibilität und Mehrsprachigkeit: Das Reden über Sexualität, die eigene Identität, aber etwa auch über Sorgen ist beeinflusst von gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Werten, Mustern und Einstellungen. Dem ist in der Beratung besonderes Gewicht zu verleihen, u. a. durch ein mehrsprachiges Angebot mit eigens geschulten Sprachmittler*innen. 

Mit der LIEBESLEBEN-Beratung werden insbesondere queere Jugendliche unterstützt und mit ihren Bedarfen, Fragen und Sorgen ernst genommen. Sie bietet eine erste Anlaufstelle und akute Unterstützung – jedoch bedarf es oft auch einer lokalen Anbindung an Angebote, die begleitende Funktion haben. Dies setzt nicht nur eine hohe Kenntnis der Strukturen bei Berater*innen voraus, sondern zeigt gleichzeitig auch die Notwendigkeit, lokale Angebote zu fördern, wie es bei LIEBESLEBEN etwa mit konkreten Handreichungen und anderen Materialien geschieht. 

Fazit

Dass Konversionsbehandlungen juristisch sanktioniert werden, ist wichtig; ebenso wichtig ist, dass Konversionsbehandlungen erst gar nicht mehr stattfinden. Dafür braucht es jedoch auch professionelle Aufklärungs- und Unterstützungsangebote, denn die präventive Wirkung des KonvBehSchG selbst darf nicht überschätzt werden. Mit dem KonvBehSchG sind zwar wichtige Signale in die Gesellschaft verbunden – eine Auseinandersetzung mit Konversionsbehandlungen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Einstellungen, insbesondere mit Heteronormativität und Queerfeindlichkeit, erweist sich dennoch als notwendig. So sind nach wie vor 10,6 % der Bevölkerung in Deutschland ab 16 Jahren der Ansicht, dass es sich bei Homosexualität um eine Krankheit handelt (Küpper, Klocke & Hoffmann, 2017). 

Die EU hat erst kürzlich darauf hingewiesen, dass über ein Viertel der befragten queeren Menschen Erfahrungen mit Konversionsbehandlungen machen mussten – auch in Deutschland (FRA, 2024). Und selbst bei Fachkräften ist die Annahme einer Behandelbarkeit und Behandlungsbedürftigkeit noch präsent (vgl. BZgA/LIEBESLEBEN, 2024). 

LIEBESLEBEN leistet hier wichtige Aufklärungsarbeit mit unterschiedlichen Informationsangeboten, wobei gerade die Telefon- und Online-Beratung zentral ist. Sie unterstützt Fachkräfte mit qualitätsgesicherten und evidenzbasierten Informationen. Und sie hilft auch queeren Menschen, insbesondere Jugendlichen und ihren Umfeldern, Unsicherheiten abzubauen, belastende Erfahrungen zu verarbeiten und die Selbstbestimmung zu stärken. 

Fußnoten

1 Queer wird hier als Sammelbegriff verwendet und umfasst Personen, die nicht heterosexuell und/oder nicht cis*-geschlechtlich sind.

2 Auf Wunsch des Autor*innenteams wird in diesem Beitrag der Gender-Stern verwendet.

3 Bei LIEBESLEBEN handelt es sich um eine seit 2016 bestehende komplexe Intervention, die sexuelle Gesundheit entsprechend der WHO-Definition holistisch betrachtet (WHO, 2006), sodass eine Integration des Themenfelds »Schutz vor Konversionsbehandlungen« auf konzeptioneller Ebene naheliegend ist.

4 Hinsichtlich von Betroffenen von Konversionsbehandlungen stehen oft ganz verschiedene Fragen und Anliegen im Raum, die vom Ablauf einer Strafanzeige über Schutz und Sicherheit (z. B. vor Fremd-Outings oder Ausschluss aus Gemeinschaften) bis hin zur Suche nach Unterstützung für die Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen reichen. Hierbei ist die besondere Situation zu beachten, da die Gefahr einer (Re-)Traumatisierung auch in der Beratung selbst besteht. Dies erfordert einen zusätzlichen sensiblen Umgang.

 

Veröffentlichungsdatum

Johannes Breuer, Dr. phil., ist Medienkulturwissenschaftler mit Schwerpunkten in den Gender und Queer Studies. Als stellvertretende Referatsleitung bei der BZgA ist er im Bereich der sexuellen Gesundheit und des Schutzes vor Konversionsbehandlungen tätig.
Kontakt: johannes.breuer(at)bzga.de

Roswitha Piesch, Sozialwissenschaftlerin, arbeitet bei der BZgA im Beratungsteam zum Schutz vor Konversionsbehandlungen. Daneben ist sie als Diversity Trainerin tätig. Kontakt: liebesleben@bzga.de Christoph Sonnefeld, M.A. Präventionsmanagement, ist bei der BZgA in der Beratung zum Schutz vor Konversionsbehandlungen tätig und setzt unterschiedliche Präventionsprojekte mit dem Schwerpunkt Fachkräfte und Vernetzung um.
Kontakt: christoph.sonnefeld(at)bzga.de 

 

Alle Links und Autorenangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Herausgebende Institution

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

FORUM 1–2024

Jugend

Das Thema »Jugend« bildet den Schwerpunkt dieser Ausgabe des FORUM. In den Artikeln geht es um das Selbstbild Jugendlicher, ihre Lebenszufriedenheit – nach Corona und unter dem Eindruck multipler Krisen –, die Zunahme psychischer Belastungen sowie Einstellungen zu Partnerschaft, Familie und Kinderwunsch. Auch die Mediennutzung Jugendlicher, ihr Umgang mit Social Media und Themen wie Cybermobbing, Cybergrooming, Sexting, Konfrontation mit Pornografie etc. werden behandelt.
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