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FORUM 2–2023

Sexualaufklärung in der Grundschule aus Sicht von Förderpädagoginnen und Förderpädagogen

Sara Scharmanski , Diana Mirza , Informationen zu den Autorinnen/Autoren
Sexualaufklärung ist in Deutschland für alle Schulformen verbindlich vorgeschrieben. Wie schulische Aufklärung aus der Sicht von Förderpädagoginnen und -pädagogen allgemein stattfindet, welche Fragen und Bedarfe Schülerinnen und Schüler mit einem Förderschwerpunkt in dem Themenfeld haben und wie sich die Zusammenarbeit mit Eltern gestaltet, untersucht das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beauftragte Forschungsprojekt.

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Sexualaufklärung ist in Deutschland für alle Schulformen verbindlich vorgeschrieben. Wie schulische Aufklärung aus der Sicht von Förderpädagoginnen und -pädagogen allgemein stattfindet, welche Fragen und Bedarfe Schülerinnen und Schüler mit einem Förderschwerpunkt in dem Themenfeld haben und wie sich die Zusammenarbeit mit Eltern gestaltet, untersucht das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beauftragte Forschungsprojekt.

Die Online-Befragung ist Teil eines groß angelegten Evaluationsprojekts zum BZgA-Medienpaket »Dem Leben auf der Spur«, das Themen wie Körper und Gefühle, Sexualität, Schwangerschaft und Geburt kindgerecht erklärt. Das Medienpaket richtet sich an Kinder im Grundschulalter und wird häufig im Kontext der schulischen Sexualaufklärung eingesetzt.

Hintergrund

Seit 1992 ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) beauftragt, Konzepte zur Sexualaufklärung zu entwickeln und Informationen zur Verhütung bundesweit kostenfrei zur Verfügung zu stellen (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 2016). Diese Materialien der Sexualaufklärung erreichen die Zielgruppen direkt oder werden von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Rahmen von Angeboten zur sexuellen Bildung eingesetzt.

Vor dem Hintergrund dieses gesetzlichen Auftrags sowie der UN-Behindertenrechtskonvention (UNBRK), die in dem 2011 gestarteten Nationalen Aktionsplan (NAP) umgesetzt wird, werden in der BZgA vielfältige Maßnahmen und Medien entwickelt und bereitgestellt, um Menschen mit Behinderungen in ihrer selbstbestimmten Sexualität zu unterstützen und eine zielgruppengerechte ganzheitliche Sexualaufklärung zu fördern (Scharmanski, Paschke, Tomse & Brockschmidt, 2021).

Zu den wichtigsten Multiplikatoren der Sexualaufklärung zählen Schulen. Lehrkräfte sind eine der zentralen Quellen der Wissensvermittlung im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit (Scharmanski & Hessling, 2022) und geben Wissen und Handlungskompetenzen über Sexualität und Verhütung an ihre Schülerinnen und Schüler weiter (Scharmanski, Hessling & Barlovic, 2022). Sexualaufklärung ist in Deutschland für alle Schulformen verbindlich in den Lehrplänen vorgeschrieben (Deutscher Bundestag, 2016) und schließt Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen ein. In der Regel werden Themen der Sexualaufklärung erstmals in der Grundschule behandelt. Trotz dieser breiten, auch bildungspolitischen Verankerung der schulischen Sexualaufklärung gibt es für den deutschsprachigen Raum nur wenige wissenschaftliche Studien zum Thema sexuelle Bildung in der Schule allgemein (Simon & Kallweit, 2022) und für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarfen im Speziellen (Urbann, 2021). Diese Forschungslücke wiegt umso schwerer, als der Zugang zu Sexualaufklärung gerade für Kinder mit Behinderungen immer noch von zahlreichen Hindernissen geprägt ist (Michielsen & Brockschmidt, 2021).

Mit der vorliegenden Online-Befragung soll ein Beitrag geleistet werden, diese Forschungslücke zu schließen. Sie soll Hinweise darauf liefern, welche Hürden, aber auch, welche Gelingensfaktoren in der schulischen Sexualaufklärung für Kinder im Grundschulalter aus Sicht von Förderpädagoginnen und -pädagogen vorhanden sind.

Die Online-Befragung

Die Online-Befragung von Förderpädagoginnen und -pädagogen ist Teil einer groß angelegten Evaluationsstudie, die bereits an anderer Stelle detailliert beschrieben ist (Scharmanski & Mirza, 2023). Ziel der Evaluationsstudie ist unter anderem, die Sicht von Lehrkräften und Förderpädagoginnen und -pädagogen auf die schulische Sexualaufklärung für Kinder im Grundschulalter zu erfassen. In diesem Beitrag stehen die Angaben der Förderpädagoginnen und -pädagogen im Fokus.

Die Online-Befragung fand von Mitte April bis Ende Juni 2023 statt. Mit der Fragebogenentwicklung und Datenerhebung wurde das Forschungsinstitut House of Research beauftragt. Die angestrebte Stichprobengröße von Förderpädagoginnen und -pädagogen betrug 200. Dafür wurden 1.403 allgemeine (Grund-)Schulen sowie 2.963 Förderschulen und Förderzentren postalisch und per E-Mail angeschrieben und um Weiterleitung der Befragungs- URL an Lehr- und Fachkräfte mit Erfahrungen im Bereich der Sexualaufklärung im Primarbereich gebeten. Die Befragung fand in einem außerschulischen Setting statt. Auf diesem Weg konnte eine bereinigte Stichprobe von N =  220 Förderpädagoginnen und -pädagogen (und 350 weiteren allgemeinen Lehrkräften) erreicht werden.

Im Anschluss an die Online-Befragung wurden acht je zweistündige Fokusgruppendiskussionen mit Befragungsteilnehmenden abgehalten, drei davon ausschließlich mit Förderpädagoginnen und -pädagogen. Erste Erkenntnisse aus dieser Teiluntersuchung werden im Folgenden für die Interpretation der quantitativen Ergebnisse herangezogen.

Die Stichprobe

Durch die breite Streuung des Online-Fragebogens ergab sich eine ausgewogene Stichprobe von Förderpädagoginnen und -pädagogen aus nahezu allen Bundesländern. Die zentralen Stichprobenmerkmale verteilen sich wie folgt (siehe Tabellen 1 und 2):

Ergebnisse

Kontext und Themen der Sexualaufklärung

Für die Verortung der Sexualaufklärung im Kontext der pädagogischen Arbeit an Förderschulen wurden die teilnehmenden Fachkräfte um eine Einschätzung gebeten, für wie wichtig sie persönlich das Thema in ihrer Lehrpraxis halten. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass das Thema von den Förderpädagoginnen und -pädagogen subjektiv als sehr relevant wahrgenommen wird: 52 % von ihnen messen ihr maximale Wichtigkeit bei (Skala von 0 »gar nicht wichtig« bis 100 »sehr wichtig«, Mittelwert bei 92). Gefragt nach ihrer Einschätzung des tatsächlichen Stellenwerts der Sexualaufklärung in der Lehrpraxis ihrer Schule, vergeben die Förderpädagoginnen und -pädagogen einen bedeutend geringeren durchschnittlichen Wert von 61. Im Hinblick auf die Bewertung des Stellenwerts der Sexual- aufklärung zeigen diese Ergebnisse eine deutliche Lücke zwischen der theoretischen Sichtweise der Pädagoginnen und Pädagogen und der tatsächlich gelebten Praxis im Schulalltag.

Ein Erfolgsfaktor für die Sexualaufklärung allgemein ist der Bezug zur Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder. Eine der zentralen Fragestellungen der Erhebung war daher, zu welchen Themen die Schülerinnen und Schüler von sich aus Fragen stellen beziehungsweise welche Themen aufgrund von Situationen und Anlässen im Schulalltag von den Förderpädagoginnen und Förderpädagogen aufgegriffen werden. Für eine vergleichende Darstellung wurden den Befragten elf Schwerpunktthemen der Sexualaufklärung zur Bewertung vorgelegt (vgl. Abbildung 1).

Körperliche und sexuelle Entwicklung, weibliche und männliche Geschlechtsorgane sowie die Entwicklung des Ungeborenen, Schwangerschaft und Geburt sind die Themen, die im Förderschulalltag aufkommen oder zu denen die Schülerinnen und Schüler Fragen stellen. Dagegen werden Themen im Bereich der sexualisierten Gewalt und des sexuellen Missbrauchs, der geschlechtlichen Identität sowie zu Gendern oder Selbstbefriedigung nur vereinzelt oder seltener aktiv von den Schülerinnen und Schülern angesprochen. Anschließend wurden die Förderpädagoginnen und Förderpädagogen gefragt, für wie angemessen sie die die elf Themen der Sexualaufklärung für Kinder im Grundschulalter in Bezug zum Entwicklungsstand halten (vgl. Abbildung 2). Die Ergebnisse zeigen, dass der Wissensbedarf der Schülerinnen und Schüler (vgl. Abbildung 1) schwerpunktmäßig Themen betrifft, die auch von den Förderpädagoginnen und Förderpädagogen als angemessen erachtet werden (vgl. Abbildung 2). Themen, die von den meisten Fachkräften als nur teilweise angemessen erachtet werden, wie Gendern und Selbstbefriedigung, werden auch im Schulalltag nur vereinzelt oder gar nicht von den Schülerinnen und Schülern angesprochen.

Elterliche Unterstützung und Vorbehalte

Zum Gelingen oder Misslingen der Sexualaufklärung an Förderschulen können auch weitere Rahmenbedingungen und Akteure beitragen. Zu nennen sind hier die Zusammenarbeit und Unterstützen seitens der Eltern und Erziehungsberechtigten, des Schulkollegiums und der Schulleitung. Um potenzielle Schwierigkeiten rund um die Zusammenarbeit mit diesen Personengruppen zu erfassen, wurden die befragten Förderpädagoginnen und -pädagogen um eine diesbezügliche Bewertung gebeten.

Abbildung 3 zeigt, dass, obwohl gerade das Thema Sexualaufklärung eine enge Zusammenarbeit mit dem familiären Umfeld erfordert, es in dieser Hinsicht immer wieder zu Problemen kommt: Lediglich 27 % der Befragten empfinden die Zusammenarbeit mit den Eltern und Erziehungsberechtigten als »nicht schwierig«. Im Gegensatz dazu empfinden 59 % der befragten Förderpädagoginnen und -pädagogen sie als »etwas schwierig«, 9 % sogar als »sehr schwierig«. Viel positiver fällt die Bewertung der Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern aus: 69 % der Förderpädagoginnen und Förderpädagogen bewerten sie als »nicht schwierig «. Noch seltener berichten die Befragten von Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Schulkollegium und der Schulleitung.

Um die Einstellung der Eltern zu den Themen der schulischen Sexualaufklärung zu erfassen, wurden die Förderpädagoginnen und -pädagogen auch danach gefragt, inwieweit Eltern und Erziehungsberechtigte Wünsche oder Vorbehalte äußern. Im Ergebnis zeigt sich jedoch, dass sich die Eltern nur selten zu den Inhalten der schulischen Sexualaufklärung äußern – und wenn, dann eher mit Vorbehalten als mit Wünschen (vgl. Abbildung 4).

Diese Ergebnisse aus der Online-Befragung sprechen dafür, dass die Kommunikation mit den Eltern zur Sexualaufklärung von den Förderpädagoginnen und -pädagogen immer wieder als schwierig und verbesserungswürdig wahrgenommen wird. In den Fokusgruppen berichteten Pädagoginnen und Pädagogen auch davon, dass die Teilnahmebereitschaft an Elternabenden seitens der Eltern häufig gering ist. Dementsprechend bleibt in vielen Fällen ein Dialog mit den Eltern und Erziehungsberechtigten aus – auch zum Thema Sexualaufklärung.

Sexualisierte Gewalt als Thema der Sexualaufklärung

Aus Sicht der befragten Förderpädagoginnen und -pädagogen werden grundsätzlich eher wenige Vorbehalte oder Wünsche seitens der Eltern geäußert. Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass Eltern zum Thema der sexualisierten Gewalt und des sexuellen Missbrauchs im Vergleich zu den restlichen zehn Themen die meisten Wünsche äußern (vgl. Abbildung 4). Wie bei allen anderen Themen überwiegen aber auch hier die Vorbehalte.

In den Fokusgruppen waren sich die Förderpädagoginnen und -pädagogen über die Bedeutung der Sexualaufklärung zur Prävention von sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt einig. Dennoch merken manche Teilnehmende an, dass dieses schwierige Thema eine Sonderstellung im Themenkomplex einnehmen sollte. Sie äußerten die Befürchtung, dass die stark negative Konnotation des Themas die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler in Hinblick auf andere positive Themen der Sexualaufklärung nachteilig beeinflussen könnte. Dadurch könne – so die Sicht einiger Teilnehmenden der Fokusgruppen – eine positive sexuelle Entwicklung und Reifung negativ beeinflusst werden. Erschwerend komme hinzu, dass immer wieder Schülerinnen und Schüler selbst von sexualisierter Gewalt betroffen sind oder waren. Wird das Thema sexualisierte Gewalt dann im Unterricht besprochen, so stellt dies die Förderpädagoginnen und -pädagogen vor große Herausforderungen und erhöht den Bedarf an qualifizierter Unterstützung in diesem Bereich.

Schulische Sexualaufklärung im Wandel

Um zu überprüfen, inwiefern der gesellschaftliche Wandel einen Einfluss auf die pädagogische Praxis im Bereich Sexualaufklärung im Grundschulalter hat, wurden jene Teilnehmenden, die schon länger im Schuldienst tätig sind, nach ihrer Einschätzung gefragt.1 Knapp zwei Drittel von ihnen (64 %) gaben an, einen Wandel der Wünsche, Bedürfnisse und Bedenken in Hinblick auf die Sexualaufklärung in der Grundschule wahrzunehmen.

In allen vier vorgeschlagenen Bereichen nahmen mehr als zwei Drittel dieser Teilgruppe einen Wandel wahr (vgl. Abbildung 5). Laut den Angaben sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen am meisten von Veränderungen geprägt (72 % der Befragten: starker Wandel vorhanden). An zweiter Stelle steht die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern (53 % der Befragten: starker Wandel vorhanden). Der Wandel bei den Rahmenbedingungen an der Schule und insbesondere bei der Zusammenarbeit mit den Eltern/Erziehungsberechtigten wird als eher leicht eingestuft.

Um die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern in Bezug auf den wahrgenommenen Wandel näher zu betrachten, wurden die entsprechenden Förderpädagoginnen und -pädagogen um eine weitere Bewertung diesbezüglich gebeten (vgl. Abbildung 6).

Die Mehrheit dieser Befragten (77 %) gibt an, dass die Vielfalt an Informationen, die Schülerinnen und Schüler abseits der Schule bereits erhalten haben, zugenommen hat. Trotz oder vielleicht auch wegen des Anstiegs an Vorinformationen berichten die Förderpädagoginnen und pädagogen auch von einer Zunahme der Anzahl von Fragen seitens der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf Sexualität (57 % dieser Teilstichprobe).

Die Fokusgruppen liefern vertiefende Erklärungsansätze für diese Ergebnisse. Viele Pädagoginnen und Pädagogen identifizieren den niedrigschwelligen und leicht verfügbaren Zugang zu Informationen aus dem Internet als Ursache für diese Entwicklung. Diese Einschätzung wird von aktuellen Ergebnissen aus repräsentativen Studien zur Mediennutzung gestützt. Laut der KIM-Studie 2022 besitzen 45 % der befragten Jungen und 43 % der befragten Mädchen zwischen 6 und 13 Jahren ein Smartphone (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs), 2023).

Förderpädagoginnen und Förderpädagogen fühlen sich »eher sicher« im Umgang mit Themen der schulischen Sexualaufklärung

Trotz existierender Herausforderungen und des Wandels der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fühlen sich die meisten Förderpädagoginnen und -pädagogen sicher bei der Unterrichtsgestaltung im Bereich Sexualaufklärung. Der Vergleich mit der Teilstichprobe der allgemeinen Lehrkräfte zeigt jedoch, dass sich diese sicherer bei der Unterrichtsgestaltung von Sexualaufklärungsthemen fühlen (vgl. Abbildung 7).

Wie bereits beschrieben (vgl. Tabelle 2), unterrichten die befragten Förderpädagoginnen und -pädagogen an Schulen mit einem breiten Spektrum von Förderbedarfen. Die Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen, werden nachvollziehbar in den Fokusgruppen geschildert: Die Förderpädagoginnen und -pädagogen müssen in ihrer Unterrichtsgestaltung spezifische und sehr individuelle Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler berücksichtigen. Je nach Förderbedarf sind auch die Anforderungen an die Unterrichtsmaterialien zur Sexualaufklärung unterschiedlich. Materialien für die allgemeinen Grundschulen können oft nur teilweise in der förderpädagogischen Praxis angewandt werden. So gehört für die teilnehmenden Förderpädagoginnen und -pädagogen die Anpassung von vorhandenen Materialien an die Bedarfe ihrer Schülerinnen und Schüler zur Routine ihrer Unterrichtsvorbereitung. Zur Unsicherheit trägt auch das Thema sexualisierte Gewalt bei. Dies erfordere eine besonders sensible Behandlung im Unterricht, was wiederum besondere Ansprüche an die Qualifizierung stelle. Einzelne Lehrkräfte berichteten in den Fokusgruppen auch von Meinungsverschiedenheiten im Kollegium, ob und wie das Thema der sexualisierten Gewalt in den Unterricht eingebunden werden sollte.

Zusammenfassung und Fazit

Die Evaluationsstudie »Sexualaufklärung in der Grundschule« der BZgA untersucht die schulische Sexualaufklärung u. a. aus Sicht von Förderpädagoginnen und -pädagogen. Trotz der hohen subjektiven Bedeutung dieses Themas für die Befragten zeigt sich eine Kluft zur tatsächlichen Umsetzung im Schulalltag. Gerade die Zusammenarbeit mit Eltern und Erziehungsberechtigten wird von vielen Pädagoginnen und Pädagogen als schwierig erlebt, und auch der gesellschaftliche Wandel sowie im Internet verfügbare Informationen beeinflussen die schulische Sexualaufklärung. Doch trotz dieser Herausforderungen fühlen sich die meisten Förderpädagoginnen und -pädagogen in der Unterrichtsgestaltung sicher.

Während einige Themen von Schülerinnen und Schülern aktiv aufgegriffen werden, ist dies bei anderen relevanten Bereichen, wie sexualisierter Gewalt, nicht der Fall. Dies ist auch das Thema, das am meisten polarisiert. Einerseits wird das Thema sexualisierte Gewalt von den Befragten mehrheitlich als angemessen für die Schülerinnen und Schüler wahrgenommen, und auch die Eltern äußern in diesem Themenfeld die meisten Wünsche nach Aufklärung. Andererseits jedoch stellt es die Pädagoginnen und Pädagogen vor ernst zu nehmende Herausforderungen, mit ihren Schülerinnen und Schülern über dieses Thema zu sprechen. Gerade in dem Themenfeld der sexualisierten Gewalt wünschen sich Förderpädagoginnen und -pädagogen mehr Sicherheit, Unterstützung und auch Qualifizierung. Dies ist für Kinder mit Behinderungen umso bedeutsamer, als sie in besonderem Maße vulnerabel sind und im Vergleich zu Kindern ohne Behinderungen ein deutlich erhöhtes Risiko für Missbrauch und Misshandlungen haben (Chodan, Häßler & Reis, 2021; Jones et al., 2012).

Zusammenfassend unterstreichen die Ergebnisse die Notwendigkeit, die schulische Sexualaufklärung im Setting der Förderpädagogik gezielter auszugestalten. Angesichts der vielfältigen und unterschiedlichen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarfen ist die Entwicklung spezieller Materialien und Methoden von entscheidender Bedeutung. Diese sollten nicht nur inhaltlich angepasst sein, sondern auch die individuellen Lernvoraussetzungen berücksichtigen. Dies bedeutet, dass es nicht ein didaktisches Material für alle geben kann, sondern eine Differenzierung unerlässlich ist (siehe hierzu die Beiträge von Goette, Kunz & Retznik sowie Krüger et al. in diesem FORUM).

Abschließend ist es wichtig, zu betonen, dass die vorliegende Studie nicht repräsentativ ist und ihre Ergebnisse somit auf die untersuchte Stichprobe beschränkt sind. Zudem konzentriert sich die Studie auf bestimmte Aspekte der schulischen Sexualaufklärung und berücksichtigt nicht zwangsläufig alle relevanten Faktoren an und im Umfeld der Schule. Daher sollten die Erkenntnisse dieser Untersuchung als wertvoller Beitrag zur Diskussion über die Gestaltung der Sexualaufklärung für Kinder mit Förderbedarf betrachtet werden, jedoch mit der Einsicht, dass weitere Forschungsbemühungen unerlässlich sind. Denn durch die Bereitstellung von differenzierenden Materialien und die Implementierung von evidenzbasierten Methoden kann das notwendige Wissen vermittelt und Handlungskompetenzen können aufgebaut werden, um eine sichere und selbstbestimmte sexuelle Entwicklung von Kindern mit Behinderungen zu unterstützen.

Fußnote

1Die Grenze dafür wurde bei sechs Jahren angesetzt. Diese Bedingung wurde von 155 der insgesamt 220 befragten FP erfüllt.

Literatur

Chodan, W., Häßler, F., & Reis, O. (2021). Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen: Erweiterter Forschungsstand seit 2014 und praktische Konsequenzen. Zeitschrift für Sexualforschung, 34(03), 137–151. doi:10.1055/a-1553-0435

Deutscher Bundestag (2016). Sexuelle Vielfalt und Sexualerziehung in den Lehrplänen der Bundesländer. Retrieved from https://www.bundestag.de/resource/blob/485866/978f0a3aeab437dc5209f5a4be9d458d/wd-8-071-16-pdf-data.pdf [10.05.2023]

Jones, L., Bellis, M. A., Wood, S., Hughes, K., McCoy, E., Eckley, L., . . . Officer, A. (2012). Prevalence and risk of violence against children with disabilities: a systematic review and meta-analysis of observational studies. The Lancet, 380(9845), 899-907. doi:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(12)60692-8 

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2023). KIM-Studie 2022. Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger.Stuttgart: mpfs. http://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2022/KIM-Studie2022_web_final.pdf 

Michielsen, K., & Brockschmidt, L. (2021). Barriers to sexuality education for children and young people with disabilities in the WHO European region: a scoping review. Sex Education, 1–19. doi:10.1080/14681811.2020.1851181

Scharmanski, S., & Hessling, A. (2022). Sexualaufklärung junger Menschen in Deutschland. Ergebnisse der repräsentativen Wiederholungsbefragung »Jugendsexualität «. Journal of Health Monitoring, 7(2), 23–41. doi:https://doi.org/10.25646/9874 

Scharmanski, S., & Mirza, D. (2023). Sexualaufklärung in der Grundschule. Eine Lehrkräftebefragung im mixed-method Design. FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung 1, 2023. https://doi.org/10.17623/BZgA_SRH:forum_2023-1_beitrag_sexualaufklaerung_grundschule 

Scharmanski, S., Paschke, S., Tomse, M., & Brockschmidt, L. (2021). Auf dem Weg zur sexuellen Selbstbestimmung: Das Engagement der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für Menschen mit Beeinträchtigungen. Zeitschrift für Sexualforschung, 34(03), 163-167. doi:10.1055/a-1551-7132

Simon, T., & Kallweit, N. (2022). Sexuelle Bildung in der (Grund-)Schule? Reflexionen zu themenbezogenen Diskursen und Forschungen. In M. Urban, S. Wienholz & C. Khamis (Hrsg.), Sexuelle Bildung für das Lehramt. Zur Notwendigkeit der Professionalisierung. Gießen: Psychosozial- Verlag.

Urbann, K. (2021). Fucking Disabled. Intersektionale Perspektive in der sexuellen Bildung mit Mädchen* und Frauen* mit Behinderung. unsere jugend, 73, 216–221. doi:10.2378/uj2021.art35d

 

Alle Links und Literaturangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

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Veröffentlichungsdatum

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Dr. Sara Scharmanski ist wissenschaftliche Referentin im Referat S3 – Aufgabenkoordinierung; Nationale und internationale Zusammenarbeit; Forschung und Fortbildung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Kontakt: sara.scharmanski(at)bzga.de 

Diana Mirza ist Senior-Projektleiterin in der House of Research GmbH, Berlin.
Kontakt: d.mirza(at)house-of-research.de

Alle Links und Autorenangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

 

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