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FORUM 2–2023

Wirksame Gewaltschutzprozesse in der Eingliederungshilfe

PETZE-Institut für Gewaltprävention

Das PETZE-Institut für Gewaltprävention entwickelt Maßnahmen sowie Handlungsempfehlungen und unterstützt Institutionen bei der Implementierung von Gewaltschutz.

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Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

Grungesetzt, Artikel 2 (2)

Schutzmechanismen gegen Gewalt und Missbrauch sowie das Recht auf selbstbestimmte Lebensführung sind in unserer umfassenden Gesetzgebung und den Rechtsdokumenten neben der Verfassung verankert. Dennoch beobachten wir weiterhin soziale Ausschlüsse, die Menschen daran hindern, ein autonomes und unversehrtes Leben in physischer, psychischer und sexueller Hinsicht zu führen. Insbesondere Menschen mit Behinderungen, die die Angebote der Eingliederungshilfe nutzen, sind von diesem Phänomen betroffen, wobei Frauen in dieser Gruppe besonders gefährdet sind. Um die spezifischen Risiken dieser vielfältigen Gruppe im institutionellen Kontext zu berücksichtigen, wurden Leistungserbringer im Jahr 2021, durch die Änderung des §37a im SGB IX, erstmals verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz der Nutzer*innen1 vor Gewalt zu ergreifen.

Wirksame Gewaltschutzprozesse

Die Forschung von Dr. Monika Schröttle und ihrem Team im Jahr 2021 zeigte, dass es keine einheitlichen nationalen Standards für Gewaltschutzkonzepte gibt. Diese Ergebnisse betonen jedoch die dringende Notwendigkeit von Gewaltschutzkonzepten in Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe für die betroffene Zielgruppe, um Gewalt effektiv zu bekämpfen (Schröttle et al., 2021, S. 64, 66, 100).

Das PETZE-Institut für Gewaltprävention erhält Fördermittel vom Land Schleswig-Holstein, um diese Lücke zu schließen und Maßnahmen sowie Handlungsempfehlungen zu entwickeln und Institutionen bei der Implementierung von Gewaltschutz zu unterstützen. In diesem Zusammenhang wurden Grundsätze ausgearbeitet, die in jedem Prozess zu beachten sind:

  • Gewaltschutzkonzepte müssen als fortlaufende Organisationsentwicklungsprozesse verstanden werden, die beratend und kontrollierend begleitet werden sollten.
     
  • Gewaltschutz muss von der schamhaftesten und am wenigsten aufgedeckten Gewaltform her gedacht werden, der sexualisierten Gewalt.
     
  • Die Freistellung von Mitarbeiter*innen zur Qualifizierung, Sensibilisierung und zur prozesshaften Weitererarbeitung des Konzepts ist notwendig.
     
  • Eine Potenzial- und Risikoanalyse ist mindestens alle 3 bis 5 Jahre durchzuführen.
     
  • Eine Begleitung durch externe Fachkräfte ist zwingend erforderlich (Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen et al., 2022, S. 5).

Der Gewaltbegriff

Gewalt hat in der Regel Ursachen und ist auf persönlicher Ebene ein Ausdruck von Respektlosigkeit sowie dem Versuch, den eigenen Willen gegenüber einer anderen Person durchzusetzen. Sie kann sich in verschiedenen Formen äußern wie psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt. Hingegen entsteht strukturelle Gewalt aus den bestehenden Systemen, die die freie Ausübung grundlegender Bedürfnisse und Rechte einschränken oder verhindern. Auf kultureller Ebene werden Einstellungen und Vorurteile geformt. Gewalt ist somit stets das Resultat eines Zusammenspiels zwischen institutionellen Strukturen, kulturellen Bedingungen und persönlichen Übergriffen (siehe Abbildung 1). Dies bedeutet, dass Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderungen nur möglich ist, wenn eine Kultur des Ignorierens, des Nicht-Zuhörens und des Abwartens vorherrscht, wenn Strukturen ausgenutzt werden und wenn eine Person ihre Macht missbrauchen möchte. Ein einheitliches Verständnis des Gewaltbegriffs bildet die Grundlage, um Schutz und Selbstbestimmung in Einrichtungen zu gewährleisten und wirksame Maßnahmen abzuleiten.

Der Implementierungsprozess

Der Gewaltschutzprozess muss individuell an die speziellen Anforderungen der jeweiligen Zielgruppe sowie an die spezifi sche Einrichtung oder Dienstleistung angepasst werden. Diese Anforderung wird auch durch § 37a Absatz 1 Satz 2 SGB IX betont. Es ist wichtig, dass die Heterogenität der Zielgruppe beachtet wird. Ein Beispiel hierfür wäre, das Beschwerdemanagement so zu gestalten, dass im besten Fall alle Menschen Rückmeldungen geben können, auch wenn sie keine Leseoder Schreibkompetenz haben.

 

In einem Gewaltschutzprozess werden Maßnahmen entwickelt, die in einem Konzept festgehalten werden. Dabei kann auf erprobte und effektive Instrumente eines Schutzkonzepts im Bereich des Kinder- und Jugendschutzes zurückgegriffen wer - den. Kriterien und Maßnahmen sind in der Broschüre »Wirksamer Gewaltschutz in der Eingliederungshilfe « (https://www.landtag.ltsh.de/beauftragte/lb/publikationen/) beschrieben. Diese Broschüre enthält Informationen sowie eine Checkliste zur Umsetzung und Bewertung effektiver Gewaltschutzkonzepte und kann im Download auch in leicht verständlicher Sprache heruntergeladen werden. Die Checkliste finden Sie auch hier:

Fußnote

Auf Wunsch der Autorin wird in diesem Beitrag der Gender-Stern verwendet.

Veröffentlichungsdatum

Ann-Kathrin Lorenzen ist Fachbereichsleitung Teilhabe beim PETZE-Institut für Gewaltprävention in Kiel.
Kontakt: ann-kathrin.lorenzen(at)petze-kiel.de

Alle Links und Autorenangaben beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

 

Herausgebende Institution

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
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