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FORUM 1–2021

Der Public Health Action Cycle als Rahmen für die Qualitätsentwicklung

Der Public Health Action Cycle hat sich als Rahmenmodell für die Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von Interventionen etabliert. Er fördert das Denken in Regelkreisen und lässt sich mit zahlreichen Instrumenten zur Verbesserung der Planungs-, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität verbinden.

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Einführung

Mitte der 1990er-Jahre wurde der Public Health Action Cycle (PHAC) als Orientierungsrahmen für gesundheitsbezogene Interventionen eingeführt (Rosenbrock, 1995). Zu einer Zeit, als Prävention und Gesundheitsförderung auch politisch an Bedeutung gewannen und zunehmend deutlich wurde, dass »gut gemeint« nicht »gut genug« ist, wurde der Ruf nach evidenzbasierten und qualitätsgesicherten Interventionen lauter. Mit dem PHAC wurde den Akteuren im Feld ein Rahmen präsentiert, der eine strukturierte Interventionsentwicklung ermöglichte (Ruckstuhl, Somaini & Twisselmann, 1997). Der PHAC umfasst vier Phasen, die idealtypisch den Ablauf einer Intervention markieren (siehe Abbildung 1). Im ersten Schritt erfolgt eine Problembestimmung, bei der die gesundheitspolitische Relevanz des Themas (z. B. unter Rückgriff auf epidemiologische, demografische und ökonomische Daten) abgeschätzt und fundierte Hintergrundinformationen zum Problembereich zusammengestellt werden. Hieraus werden Interventionsziele abgeleitet: Welche Problemlage(n) soll(en) sich in welchem Zeitraum verändern? So einfach dieser Schritt klingt, so schwierig erweist sich die erste Phase des PHAC in der Praxis, denn im politischen Raum geht den Aktivitäten häufig keine klare Problemanalyse voraus und eine klare Zieldefinition ist nicht immer auszumachen. Ohne diese sind aber viele Aktivitäten wertlos, denn die vorhandenen Kräfte können nicht gebündelt werden und die Zielrichtung der Aktivitäten bleibt unklar. In der zweiten Phase, der Strategieentwicklung, werden Maßnahmen ausgewählt, mit denen das Ziel erreicht werden soll. Im Idealfall erfolgt hier eine theoriegestützte Maßnahmenplanung und eine Auswahl von Interventionen, die ihre Wirkung bereits belegt haben. In der Phase der Umsetzung werden die geplanten Maßnahmen implementiert. Je mehr Bausteine aufeinander aufbauen und ineinandergreifen, je größer die Gruppe der involvierten Akteure, desto anspruchsvoller kann diese Phase sein. Selbst dann, wenn einfache Programme in standardisierter Form vorliegen (wie es z. B. bei schulischen Präventionsprogrammen häufig der Fall ist), werden sie selten programmtreu umgesetzt. Die Kunst liegt hier darin, die Maßnahmen den Gegebenheiten vor Ort anzupassen, ohne allerdings das Ziel aus den Augen zu verlieren. In der vorerst letzten Phase (ehe der Zyklus ggf. erneut durchlaufen wird), der Bewertung, wird das Projekt oder das Programm evaluiert. Im Zentrum stehen die Wirkungen, die bei der Zielgruppe (aber z. B. auch in der Gruppe der beteiligten Akteure) erzielt wurden, ggf. sogar eine Kosten-Nutzen-Abschätzung. Mit einer sorgfältigen, wirkungsbezogenen Evaluation kann der Korpus der Evidenz erweitert werden, sodass andere Vorhaben auf die Erfahrungen zurückgreifen können.

Der PHAC lässt sich mit jenen Qualitätsdimensionen hinterlegen, die sich in Prävention und Gesundheitsförderung etabliert haben. Die Planungsqualität bezieht sich auf eine sorgfältige Problemanalyse, auf die Ermittlung von Bedarf und Bedürfnissen, auf eine klare Konzeption auf der Basis vorhandener Erfahrungen und wissenschaftlicher Evidenz, auf eine Analyse der Faktoren, die für eine Übertragung von Interventionen in den eigenen Kontext relevant sein können, auf eine klare Benennung der Ziele und des Zielerreichungsgrades, eine klare Spezifizierung der Ziel- gruppe und eine Klärung der Implementationsvoraussetzungen. Die Strukturqualität bezieht sich auf die organisatorischen und institutionellen Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Umsetzung eines Projekts oder Programms vorhanden sein müssen (z. B. Räume, Qualifikation des Personals). Beide Qualitätsdimensionen sind mit den beiden ersten Phasen des PHAC verbunden. Die Prozessqualität bezieht sich auf die Umsetzungsphase im PHAC und fragt danach, ob die Implementierung so abläuft, wie sie intendiert war. Die systematische Reflexion des Ablaufs einschließlich der Hindernisse und förderlichen Faktoren ist hier unerlässlich und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die geplante Intervention auch Erfolg hat. Die Ergebnisqualität schließlich ist mit der Phase der Bewertung verbunden, denn hier geht es darum, die Wirkung der Interventionsbemühungen und den Grad der Zielerreichung abzuschätzen. Dies ist nur dann möglich, wenn in der Planungsphase Ziele und Zielerreichungsgrad sorgfältig definiert wurden, auf die in der Bewertung Bezug genommen werden kann.

Qualitätsinstrumente

In den vergangenen 25 Jahren hat sich das Portfolio an Instrumenten zur Verbesserung der Qualität von Gesundheitsförderung und Prävention stark erweitert, sodass mittlerweile für alle Phasen des PHAC und für alle Qualitätsdimensionen Instrumente und Verfahren vorliegen, die sich in der Praxis bewährt haben. Im Folgenden werden einige ausgewählte Instrumente vorgestellt, um deutlich zu machen, dass in der Qualitätsentwicklung einzelne kleine Schritte gegangen werden können, die letztlich die Arbeit in der Praxis erleichtern (für eine ausführliche Darstellung der Instrumente sowie weitere Methoden und Verfahren siehe Kolip, Ackermann, Ruckstuhl & Studer, 2019; Kolip, 2019; Kurz & Kubek, 2021). Die Darstellung soll auch verdeutlichen, dass Qualitätsentwicklung weit über die Durchführung aufwendiger Evaluationsstudien zur Erfassung der Ergebnisqualität hinausgeht und zahlreiche Elemente der Qualitätsentwicklung in vielen Maßnahmen bereits umgesetzt werden – ohne dass sie immer als solche benannt werden.

 

Problembestimmung

Mit der Problemanalyse soll ein umfassendes Bild des Problemfelds gezeichnet werden: In welchen Feldern besteht überhaupt Handlungsbedarf? Wer ist von dem Problem in welcher Weise betroffen? Was ist über die Motivationslagen und Bedürfnisse der möglichen Zielgruppen bekannt? Der Bedarf lässt sich durch eine Analyse der Daten der Gesundheits-, Sozial- und Umweltberichterstattung, durch eine Aufbereitung wissenschaftlicher Studien und in Gesprächen mit Expertinnen und Experten abschätzen. Schwieriger ist die Erfassung der Bedürfnisse der Zielgruppe. Je weiter diese von der eigenen Lebenswelt entfernt ist, desto schwerer wird es sein, Bedürfnisse und Motivlagen abzuschätzen. Hier bieten partizipative Methoden eine gute Möglichkeit. In den vergangenen Jahren wurden im Rahmen des Kooperationsverbundes PartKommPlus zahlreiche Methoden erprobt und dokumentiert, die sich für Personengruppen eignen, die wenig darin geübt sind, gegenüber Fachpersonen ihre Sichtweisen zu formulieren (siehe http://partkommplus.de/). Am Ende der Problemanalyse sollten klare Ziele stehen. Eine Orientierung an den SMART-Kriterien ist sehr hilfreich. Dieses Akronym steht für eine Formulierung spezifischer, messbarer, anspruchsvoller, realistischer und terminierter Ziele. Es kann kaum genug betont werden, wie wichtig dieser Schritt ist: Wer nicht weiß, wo er hinwill, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt, wie es Mark Twain formulierte. Dennoch wird dieser Schritt häufig ausgelassen, sei es, weil die Interventionen schon »auf der Hand liegen«, sei es, weil die Formulierung SMARTer Ziele als zu aufwendig eingeschätzt wird, oder sei es, weil zu befürchten steht, dass in der gemeinsamen Diskussion Zielkonflikte der beteiligten Akteure zutage treten, die besser unter dem Teppich bleiben sollten (dabei kann die Aushandlung gemeinsamer Ziele gerade in solchen Situationen besonders lohnenswert sein). Checklisten oder Leitfragen wie jene im Kursbuch Wirkung (Kurz & Kubek, 2021) sind eine große Hilfe, um Übung in der Zielformulierung zu erreichen.

 

Strategieentwicklung

In der nächsten Phase werden Maßnahmen entwickelt oder ausgewählt, mit denen das Ziel erreicht werden kann. Bei komplexen Interventionen, zum Beispiel beim Aufbau kommunaler Präventionsketten, bietet es sich an, zuvor eine systematische Bestandsaufnahme zu machen, um Lücken und Überschneidungen in der Angebotsstruktur zu identifizieren. Eine anschließende Recherche von Interventionen, für die ein Wirksamkeitsnachweis vorliegt, ist mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum einfacher möglich (Links zu Datenbanken sowie zu Vorlagen für eine Bestandsaufnahme sind hier eingestellt: https://www.gesundheitsfoerderung-qualitaet.info/pages/praxisbuch-planungsqualitaet).

Sofern es lokal gebundene Maßnahmen sind, bietet es sich zudem an, einen Kontext-Check durchzuführen, um die Möglichkeiten der Übertragbarkeit abzuschätzen (Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen [LVG & AFS Niedersachsen], 2020). Auch die Erarbeitung eines Wirkungsmodells ist hilfreich: Welche Wirkungen auf welcher Ebene verspricht die Maßnahme?

In der Praxis hat sich die Arbeit mit der Wirkungstreppe von PHINEO bewährt (Kurz & Kubek, 2021). Bei der Wirkungstreppe wird zwischen dem, was in ein Projekt investiert wird (Input), den Leistungen, die mit diesen Ressourcen erbracht werden (Output) und den Wirkungen, die damit erzielt werden sollen (Outcome bzw. Impact) unterschieden (siehe auch den Beitrag von Sinß und Schäffer in diesem FORUM). Die Wirkungen können sich auf eine Veränderung des Wissens und der Einstellungen, der Fähigkeiten und des Verhaltens oder der Lebenslage der Zielgruppe sowie auf eine Veränderung der Gesellschaft beziehen. Für jeden Bereich lassen sich Ziele formulieren, die dabei helfen, zu überprüfen, ob die Maßnahmen wie geplant umgesetzt und angenommen werden und in welchen Bereichen Veränderungen beobachtet werden können. Die Arbeit der Wirkungstreppe verdeutlicht zudem, dass der Effekt von Einzelmaßnahmen oft sehr begrenzt ist, und sie hilft, Punkte zu erkennen, an denen etwa flankierende Maßnahmen sinnvoll sind.

 

Umsetzung

Qualitätsentwicklung in der Umsetzungsphase bezieht sich darauf, systematisch zu reflektieren, ob das Projekt wie geplant implementiert werden kann, wo Hindernisse und Stolpersteine liegen und wo förderliche Faktoren die Umsetzung unterstützen. Ein Bezug auf die Ziele ist hier ebenso sinnvoll wie ein Blick auf die Wirkungstreppe. Diese Reflexion erfordert, dass systematisch »Haltepunkte« in den Zeitplan eingebaut werden, an denen die Projektbeteiligten auf die zurückliegende Etappe zurückblicken, das Erreichte bewerten und dann die Detailplanung für die nächste Etappe vornehmen, ggf. dabei auch die Intervention anpassen. Das Meilensteinkonzept von quint-essenz (siehe auch INFO- THEK, Seite 52), dem Schweizer Qualitätssystem, das für Gesundheitsförderung entwickelt wurde und frei nutzbar ist (www.quint-essenz.ch), bietet hierfür einen guten Rahmen und anregende Leitfragen (Kolip et al., 2019).

 

Bewertung

In der Phase der Bewertung erfolgt ein Abgleich der intendierten mit den erzielten Wirkungen. Spätestens hier zeigt sich, dass es unerlässlich ist, messbare Ziele zu formulieren. Will man diese Effekte wissenschaftlich genau erfassen und alternative Erklärungsmöglichkeiten ausschließen, sind hierfür randomisierte, kontrollierte Studien notwendig – ein Anspruch, der in der Praxis wohl kaum erfüllt werden kann und auch nicht muss. Doch auch mit weniger aufwendigen Methoden lässt sich ein Eindruck davon gewinnen, ob die Ziele erreicht wurden (Kolip, 2019), indem etwa bei der Zielformulierung definierte Indikatoren für einen Vorher-nachher-Vergleich herangezogen werden oder Indikatoren des Untersuchungsfelds mit anderen Quartieren oder Städten verglichen werden. Eine Kooperation mit einer Hoch- schule schon in der Planungsphase kann helfen, hier einen praxistauglichen Evaluationsplan aufzustellen. Auch die Planungs- und Evaluationstabellen auf der oben bereits an- gesprochenen Seite www.quint-essenz.ch bieten ein gutes Gerüst.

 

Qualitätsentwicklung in kleinen Schritten

Qualitätsentwicklung klingt nach »Mühe« und »Last«, und viele schrecken vor dem Thema zurück, weil der Berg als zu hoch erscheint. Aber: Qualitätsentwicklung besteht aus vielen kleinen Schritten, und die Fülle an Instrumenten lädt zum Ausprobieren ein. Das eine oder andere mag für den eigenen Kontext hilfreich sein. Dann lohnt es sich, dieses Instrument in das Portfolio der Arbeitsroutinen aufzunehmen. Anderes braucht vielleicht etwas mehr Übung und vielleicht sind Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Sicht, mit denen man etwas ausprobieren kann. Anderes passt nicht, dann kann es auch beiseitegelegt werden. Die Mühe

lohnt sich, denn ein systematisches Vorgehen macht Akteure sprechfähiger, weil sich – auch gegenüber Geldgebern – klarer kommunizieren lässt, was man wie geplant hat, welche Wirkungen man erzielen will und welche Vorkehrungen man trifft, damit die Zielerreichung gelingt. Und mitunter bringt Qualitätsentwicklung auch mehr Spaß an der Arbeit, weil man Erfolge klarer sieht und diese dann auch in den Reflexionsphasen feiern kann.

Veröffentlichungsdatum

Petra Kolip, Dipl.-Psych., Dr. phil., ist Professorin für Prävention und Gesundheitsförderung an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld.

Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der geschlechtersensiblen Gesundheitsforschung, der Kinder- und Jugendgesundheitsforschung sowie in der Qualitätsentwicklung und Evaluation von Prävention und Gesundheitsförderung.

Kontakt: petra.kolip(at)uni-bielefeld.de

 

Alle Angaben zu Links und Autorinnen/Autoren beziehen sich auf das Erscheinungsdatum der jeweiligen Druckausgabe und werden nicht aktualisiert.

Herausgebende Institution

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Diese Ausgabe des FORUM stellt Maßnahmen und Projekte vor, die die Qualitätssicherung in den Bereichen Sexualaufklärung und Familienplanung, der Prävention von sexualisierter Gewalt und sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) sowie den Frühen Hilfen gewährleisten.
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