Zum 01.11.2014 startete das Projekt ReWiKs an drei Standorten
- Universität Koblenz-Landau, Prof. Dr. Sven Jennessen, seit 9/2017: Humboldt Universität Berlin
- Katholische Hochschule NRW, Abteilung Münster, Prof. Dr. Barbara Ortland
- Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Prof. Dr. Kathrin Römisch
In 2018 wurde die Förderphase 1 abgeschlossen und ging 2019 über in die Förderphase 2: „ReWiKs: Sexuelle Selbstbestimmung und Behinderung – Reflexion, Wissen, Können als Bausteine für Veränderungen”.
Projektbereich Reflexion
Humboldt Universität Berlin (bis 8/2017 Universität Koblenz-Landau) Prof. Dr. Sven Jennessen, Mitarbeiterinnen: Rahel Schowalter, Jenny Trübe
Schwerpunkt: Entwicklung von Reflexionsmaterialen in schwerer Sprache für Mitarbeitende und in leichter Sprache für Bewohner/innen.
Reflexionsmanual in schwerer Sprache (ReMaxS)
Die Basis des Reflexionsmanuals bilden die bereits entwickelten Leitlinien für gelingende sexuelle Selbstbestimmung in Einrichtungen der Eingliederungshilfe.
Basierend auf einer Themensammlung, die in Kooperation mit einem einrichtungsübergreifenden, bereits existierenden Arbeitskreis zu den Themenfeldern „Sexualität und Behinderung“ entwickelt wurde, wurden zu jeder Leitlinie Reflexionsfragen in den Bereichen Haltungen, Strukturen und Praktiken formuliert.
Um die Arbeit mit dem Instrument für Einrichtungen übersichtlich zu gestalten, wurden die Reflexionsfragen der Leitlinie 1 („Erwachsene Menschen mit Behinderung leben ihre Sexualität selbstbestimmt und werden dabei bedarfsorientiert, alters- und entwicklungsgemäß begleitet. Sie sind Expert_innen für sämtliche Belange ihrer Sexualität“) als Vorstrukturierungshilfe der zu bearbeitenden Leitlinien/Themen formuliert. Zudem soll eine Untergliederung der Reflexionsfragen in spezifische Themenbereiche die Bearbeitung einrichtungsrelevanter Themen erleichtern. Mit einer Arbeitsversion des auf diesen Grundlagen fußenden Reflexionsmanuals fand die Erprobung des Materials im ersten Halbjahr des zweiten Projektjahres in sieben Wohneinrichtungen in der Südpfalz statt (Zeitraum: Mitte Februar – Ende Juni 2016). Im Rahmen von Gruppendiskussionen in Gruppengrößen, die zwischen drei und zehn Mitarbeitenden variierten, wurde in meist professions- und hierarchieheterogenen Arbeitsgruppen über die Reflexionsfragen zu den einzelnen Leitlinien diskutiert. Insgesamt nahmen 62 Mitarbeitende an den Gruppendiskussionen teil. Die Evaluation der Diskussionen war an folgenden Leitfragen orientiert:
Regt das Instrument zu einer teaminternen Auseinandersetzung an?
Welche Faktoren begünstigen bzw. hemmen die Auseinandersetzung?
Aus den Ergebnissen der verschiedenen Daten konnten hilfreiche Erkenntnisse zur adäquaten und zielführenden Anwendung des Instrumentes abgeleitet werden, die in Form von Handlungsempfehlungen in den einführenden Informationsteil des Manuals aufgenommen werden. Neben vielen qualitativen Rückmeldungen, die sowohl auf kritische Aspekte als auch auf die Potentiale des ReMaxS verweisen, erfolgte eine grundsätzlich positive Bewertung des Instruments durch die teilnehmenden Fachkräfte aus den Einrichtungen.
Die Ergebnisse der Evaluationsphase wurden im Forschungsteam dialogisch validiert und in der zweiten Hälfte des Projektzeitraumes in eine abschließende Fassung des Manuals eingearbeitet. Zudem wurde ein Projektplanungsbogen erstellt, mit dessen Hilfe die aus der reflexiven Auseinandersetzung abzuleitenden Entwicklungsideen in eine konkrete Projektplanung übertragen werden können.
Reflexionsmanual in leichter Sprache (ReMaxS-L)
Aufbauend auf den neun Leitlinien zur sexuellen Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in Wohneinrichtung in Leichter Sprache und dem Reflexionsmanual in schwerer Sprache wurden Themenbereiche identifiziert, die als Bestandteile sexueller Selbstbestimmung gelten. Diese wurden den Leitlinien zugeordnet, wobei stets ein Abgleich mit den Themenschwerpunkten des Manuals in schwerer Sprache erfolgte. Die Themenbereiche wurden im Sinne ihrer Elementarisierung von Experten in Leichte Sprache übersetzt. Da eine erste Evaluation mit Menschen mit geistiger Behinderung zeigte, dass die Formulierungen in Aussageform nur schwer verständlich waren, wurden alle Themenbereiche als Fragen formuliert, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Als Antwortkategorien wurden neben der Schriftsprache verschiedene Antwortsymbole eingesetzt, die in der weiteren Evaluationsphase in verschiedenen Variationen erprobt werden.
Für alle Leitlinien sowie die zentralen Themen der jeweiligen Leitlinie wurden zudem von einer Grafikerin eigene Piktogramme entwickelt, die die Verständlichkeit der Inhalte erhöhen sollen.
Projektbereich Wissen
Katholische Hochschule NRW, Abteilung Münster, Prof. Dr. Barbara Ortland, Dorothea Kusber-Merkens, Andreas Nitsche
Schwerpunkt: Entwicklung von Fortbildungsmaterialien
Auf Grundlage empirischer Studien (v. a. Ortland, 2016 und Fegert, 2006) und Erfahrungen aus der Praxis wurden fünf umfassende Fortbildungsmodule inklusive der Benennung von Zielbereichen und exemplarischen Fortbildungsinhalten, die als grundlegend für die Qualifizierung von Mitarbeitenden zur Realisierung sexueller Selbstbestimmung in Wohneinrichtungen erachtet werden, entwickelt, mit Vertreter/innen aus der Praxis diskutiert und überarbeitet.
Im Projektfortlauf wurde deutlich, dass die enorme Heterogenität der Mitarbeitenden in den Wohneinrichtungen im Bereich „Wissen“ ein zweigleisiges Vorgehen erfordert, so dass nun
a) durch ein möglichst niederschwelliges Materialangebot für die persönliche und teambezogene Weiterentwicklung der Mitarbeitenden in den Wohngruppen ein Handbuch entwickelt und
b) in einem darauf aufbauenden Schritt Multiplikator_innenfortbildungen für Mitarbeitende entwickelt werden, die das Thema der sexuellen Selbstbestimmung in den Einrichtungen konzeptionell voranbringen wollen.
Im zweiten Projektjahr lag der Fokus auf der weiteren Entwicklung, Erprobung und Überarbeitung des Fortbildungsmaterials für die persönliche und teambezogene Weiterentwicklung von Mitarbeitenden in den Wohngruppen.
Bis September 2016 konnte ein umfangreiches Fortbildungshandbuch in der Erprobungsversion vorgelegt werden (ca. 500 Seiten), das schwerpunktmäßig zu den Modulen 1-3 Materialien zu folgenden Inhalten enthielt:
- Sprechen über Sexualität
- Reflexion von Werten und Normen
- Sichtweisen/Wahrnehmung von Behinderung
- Professioneller Auftrag
- Beziehungen, Partnerschaft, Sexualität
- Entwicklung von Geschlechtsidentität/sexuelle Vielfalt
Anhand von „Lesebüchern in einfacher Sprache“, Karikaturen, (autobiografischen) Texten mit Reflexionsanregungen, Arbeitshilfen und Fortbildungsentwürfen wurden verschiedene methodisch-didaktische Materialien den kooperierenden Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Die entwickelten Materialien für die Fortbildung von Mitarbeitenden und Bewohner_innen oder nur Bewohner_innen wurden in einfacher Sprache verfasst und mit ausgewählten (Metacom-)Symbolen bzw. Bildern unterlegt, so dass auch Menschen ohne Schriftsprachkompetenz und/oder die auf Unterstützte Kommunikation angewiesen sind, an den Angeboten teilhaben können.
Parallel zur Anfertigung des Fortbildungsordners wurden sukzessive ausgewählte Materialien in verschiedenen Settings mit Praxisvertreter/innen diskutiert bzw. in Fortbildungsangeboten mit Männern und Frauen mit Behinderung an der Katholischen Hochschule erprobt. Hier wurden Studierende der Heilpädagogik in Planung, Durchführung und Reflexion eingebunden.
Im September 2016 wurden den fünfzehn kooperierenden Einrichtungen folgende Optionen für die Erprobung der Materialien angeboten:
a) Aushändigung und Erläuterung eines Fortbildungsordners inklusive Rückmeldebögen für ein Gespräch über Erfahrungen mit den Materialien Anfang 2017
b) Durchführung von Fortbildungen für eher homogene Fortbildungsgruppen (Mitarbeitende oder Bewohner/innen) oder für eher heterogene Fortbildungsgruppen (Mitarbeitende und Bewohner/innen gemeinsam) durch das Projektteam sowie deren Evaluation.
Erste Erkenntnisse aus der Auswertung der Fragebögen der teilnehmenden Mitarbeiter/innen der Fortbildungen sowie der Auswertung der Interviews und Rückmeldebögen zu den Fortbildungsordnern ergeben eine tendenziell positive Bewertung hinsichtlich der Gesamtbewertung, der Inhalte und des methodischen Vorgehens/der Arbeitsmaterialien sowie eine mehrfach positive Bewertung der gemeinsamen Veranstaltung für Mitarbeitende und Bewohner/innen. Auf der Grundlage der ersten Ergebnisse der Erprobung der Fortbildungen und des Fortbildungshandbuchs sind bereits die aufgezeigten Konsequenzen für die Materialüberarbeitung deutlich geworden. Diese werden bereits bei der Entwicklung und Überarbeitung des weiteren Materials berücksichtigt.
2017 wurde die Multiplikatoren_innen-Fortbildung zum/zur ReWiKs-Lotsen/Lotsin entwickelt und erprobt. Diese soll konzeptionell verantwortliche Mitarbeitende befähigen, sexuelle Selbstbestimmung mit Hilfe der ReWiKs-Gesamtmaterialien im Rahmen der Organisationsentwicklung anzuwenden. Die Fortbildung wurde im Herbst mit drei Fortbildungsgruppen (insgesamt 57 Teilnehmende) erprobt. Zurzeit findet die Auswertung der Erprobung statt.
Projektbereich Können
Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Prof. Dr. Kathrin Römisch, Anneke Arlabosse, Carina Bössing
Schwerpunkt: Entwicklung von Praxishandbüchern in schwerer Sprache für die Mitarbeitenden sowie in Leichter Sprache für die Bewohner_innen
Ziel der Handbücher ist es, zu den inhaltlichen Themenbereichen der Leitlinien gelingender selbstbestimmter Sexualität Handlungsempfehlungen zu formulieren. Hierzu sollen Beispiele guter Praxis sowie bereits vorhandenes Praxiswissen gesammelt und mit Erkenntnissen aus Theorie und Forschung in Zusammenhang gebracht werden.
Für die Recherche des bereits vorhandenen Praxiswissens wurde zunächst eine bundesweite Internetrecherche nach konkreten Projekten und Einrichtungen durchgeführt, die sich im weitesten Sinne mit der Förderung selbstbestimmter Sexualität behinderter Menschen beschäftigen oder beschäftigt haben. Die Internetrecherche umfasst zunächst eine Bundes- und anschließend eine Landesebene. Hierbei wurde nach Projekten und Einrichtungen auf Bundesebene (z.B. Aktion Mensch, Bundesministerien) und anschließend auf der Ebene der jeweiligen Bundesländer (Land, Landeshauptstädte, kreisfreie Städte, Landkreise) gesucht.
Der Recherche schloss sich eine Auswahl geeigneter Projekte an. Es wurden zentrale Akteure_innen aus den Projekten interviewt.
Im 2. Projektjahr wurde die Erhebungsphase in Form von qualitativen leitfadengestützen Interviews abgeschlossen. Die Erhebungsphase zielte darauf, das Erfahrungswissen aus der Praxis zu sammeln, um darauf aufbauend das Handbuch – zunächst in schwerer und anschließend in Leichter Sprache – zu entwickeln. Insgesamt haben 28 Interviews mit 34 Personen stattgefunden. Interviewt wurden 19 Mitarbeiter_innen und 15 Bewohner_innen bzw. Projektteilnehmer_innen aus Wohneinrichtungen, Beratungsstellen und Projekten, die im Rahmen der vorangestellten bundesweiten Internetrecherche identifiziert worden sind. Die Interviews haben in sechs Bundesländern (NRW, Bremen, Hamburg, Berlin, Bayern und Hessen) stattgefunden und deckten die Inhalte der Leitlinien ab. Nach der Erhebungsphase wurden alle Interviews wortwörtlich transkribiert und anschließend inhaltsanalytisch ausgewertet.
Eine erste Version des Handbuchs in schwerer Sprache liegt vor. In Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden aus Praxiseinrichtungen konnte das Handbuch im Praxisfeld evaluiert werden. Hierzu hatten alle Mitarbeitenden der kooperierenden Einrichtungen die Möglichkeit, über einen Fragebogen Rückmeldungen zum Handbuch zu geben. Darüber hinaus wurden drei Gruppendiskussionen mit Mitarbeitenden durchgeführt. Das Handbuch wird anhand der Ergebnisse des Evaluationsprozesses überarbeitet.
Weiterhin wurde eine umfassende Materialrecherche und -analyse vorgenommen. Diese diente dazu, bereits existierende sexualpädagogische Materialien sowohl in Leichter als auch schwerer Sprache herauszuarbeiten. Das in Zusammenarbeit mit Münster gefundene Material wurde auf die Verwendbarkeit im Handbuch geprüft und thematisch den einzelnen Abschnitten zugeordnet. Das Material stellt eine inhaltliche Ergänzung des Handbuchs dar, welches die praxisnahe Umsetzung der im Handbuch aufgezeigten Veränderungsideen zur Erweiterung der sexuellen Selbstbestimmung unterstützen soll. Die Analyse – besonders des Materials in Leichter Sprache – diente zudem der Vorbereitung der Erstellung des Handbuchs in Leichter Sprache. Auch dieses liegt mittlerweile vor und wird zurzeit in der Praxis erprobt.
Publikationen
Zum Projektende werden die folgenden Materialien über die BZgA publiziert werden und erhältlich sein:
- ReMaxS in schwerer Sprache
- ReMaxS -L in Leichter Sprache
- Fortbildungsmaterial für Mitarbeitende und Bewohner_innen
- Praxishandbuch in schwerer Sprache
- Praxishandbuch in Leichter Sprache
Literaturverzeichnis
Boban, I.; Hinz, A. (2003): Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in einer Schule der Vielfalt entwickeln. Halle-Wittenberg
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2012): Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland. Kurzfassung. Meckenheim
Fegert, J.M./Jeschke, K./Thomas, H./Lehmkuhl, U. (2006): Sexuelle Selbstbestimmung und sexuelle Gewalt. Ein Modellprojekt in Wohneinrichtungen für junge Menschen mit geistiger Behinderung. Weinheim, München: Juventa.
Jennessen, S. (2014): QuinK – Qualitätsindex für Kinder- und Jugendhospizarbeit. In: Bundes-Hospiz-Anzeiger 1, Jg 12, 13-23
Jennessen, S. Hurth, S. (2014): Der Qualitätsindex für Kinder- und Jugendhospizarbeit. Hospiz-Verlag: Gütersloh
Ortland, B. (2013): Sexualpädagogische/-andragogische Konzeptionen für Wohneinrichtungen für Erwachsene mit Behinderung – Erfahrungen, Bedarfe und Unterstützungsnotwendigkeiten aus der Perspektive der Mitarbeitenden. Unveröffentlichter Forschungsbericht Katholische Hochschule Münster
Ortland, B. (2015): Sexuelle Vielfalt als Herausforderung. Aktuelle Ergebnisse der Befragung von Mitarbeitenden in Wohneinrichtungen der Eingliederungshilfe. In: Teilhabe Jg. 54,Heft 1, 10-17
Ortland, B. (2016): Sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Grundlagen und Konzepte für die Eingliederungshilfe. Stuttgart: Kohlhammer
Stand: November 2017