BeSPa - Schwangerschaftsberatung und Sexuelle Bildung während der Covid-19-Pandemie aus Sicht von Fachkräften
Die Schwangerschaftsberatungen konnten während des ersten Lockdowns aufrechterhalten werden.
Da die Covid-19-Pandemie weiterhin die Arbeitsfelder der Beratungspraxis und der sexuellen Bildung beeinflusst und die Relevanz des Forschungsvorhabens ungebrochen hoch ist, wurde die Studie auch im Jahr 2021 und 2022 fortgeführt. Um ein multiperspektivisches Abbild der Beratungssituation während der Pandemie zu erhalten, wird die Studie 2022/23 mit einer Befragung von Klientinnen und Klienten ergänzt.
Ausgewählte Ergebnisse aus der Erhebung im Jahr 2021 sind mit interaktiven Grafiken zu diesen Themen aufbereitet:
- Entwicklung der Nachfrage nach Allgemeiner Schwangerschaftsberatung (ASB) während der ersten eineinhalb Pandemiejahre
- Entwicklung der Beratungsthemen
- Beratungsformate
- Angebote der Sexuellen Bildung während der Pandemie
Stichprobenbeschreibung
Die Stichprobe von insgesamt 518 Fragebögen unterteilt sich in die Gruppe der Beraterinnen und Berater mit n = 500 und in die Gruppe der Sexualpädagoginnen und -pädagogen mit n = 311, d. h. 299 Personen haben in ihrer Doppelfunktion als Fachkraft für Beratung und Sexualpädagogik geantwortet. Proportional zur bundesweiten Anzahl an Beratungsstellen pro Trägerverband haben sich Mitarbeitende von pro familia resp. des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (Parität.) am häufigsten an der Befragung beteiligt (vgl. Tabelle 1). Der Anteil der konfessionsgebundenen Beratungsstellen liegt in der vorliegenden Stichprobe bei knapp 40 %, was auch in etwa dem Anteil an der Grundgesamtheit im direkten Vergleich der Beratungsstellen in konfessioneller und konfessionell-ungebundener Trägerschaft entspricht. Damit sind die konfessionell-ungebundenen Träger in der vorliegenden Erhebung leicht überrepräsentiert.
Entwicklung der Nachfrage (außer ASB)
Mit Blick auf die verschiedenen Aufgabenfelder der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen wird deutlich, dass die Nachfrage während der ersten eineinhalb Pandemiejahre im Wesentlichen konstant geblieben ist. Lediglich die Aufgabenfelder außerhalb der Primärangebote Allgemeine Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung hatten verstärkt einen Rückgang zu verzeichnen, am häufigsten in den Beratungsstellen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.
Entwicklung der Nachfrage nach Allgemeiner Schwangerschaftsberatung (ASB) während der ersten eineinhalb Pandemiejahre
Die Hälfte aller Befragten berichtete von keinen nennenswerten Veränderungen der Nachfrage nach Allgemeiner Schwangerschaftsberatung seit Pandemiebeginn, 28,2 % sprachen von einem Rückgang und fast ebenso viele nahmen einen Anstieg der Nachfrage wahr (21,9 %). Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede nach Trägerverband (vgl. Abbildung 1). Insbesondere die Beratungsstellen der Gesundheitsämter und kommunalen Träger nahmen einen Rückgang wahr, der ursächlich in der Zuweisung pandemiebedingter Aufgaben (wie Kontaktverfolgung etc.) begründet liegen könnte. Aber auch die AWO, das DRK und die sonstigen Beratungsstellen waren stärker von einem Rückgang der Nachfrage betroffen als bspw. konfessionelle Beratungsstellen, die verstärkt von einer Zunahme der Nachfrage berichteten (vgl. Abbildung 1).
Entwicklung der Beratungsthemen
Während sich die Nachfrage nach Themen den Geburtsprozess sowie die Vor- und Nachsorge betreffend während der Pandemie kaum veränderte, wurde bei anderen Themen ein deutlicher Anstieg beobachtet. Insbesondere die Nachfrage nach finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten ist hier zu nennen, die besonders häufig von Beraterinnen und Berater der Caritas/SKF beobachtet wurde. Aber auch psychosoziale Problemlagen fanden gehäuft Eingang ins Beratungsgeschehen (vgl. Abbildung 2). Familiäre Belastungen haben laut Angaben während der Pandemie im Beratungsrepertoire am stärksten zugenommen. Zudem wurde nicht nur ein Anstieg von Ratsuchenden in finanziell prekären Verhältnissen, sondern auch von Ratsuchenden mit psychischen Belastungserfahrungen beobachtet (vgl. Abbildung 2).
Mit den Problemlagen der Ratsuchenden einhergehend veränderte sich auch die Nachfrage nach bestimmten Themen in der Beratung nach §219 StGB. Zum einen sind dies Fragen zur Zukunfts- und Lebensplanung und die Thematisierung von Gewalt in der Partnerschaft resp. häuslicher Gewalt. Ein weiterer Themenkomplex umfasst konkrete Fragen rund um den Schwangerschaftsabbruch: So wurden Terminengpässe und der Mangel an Ärztinnen und Ärzten, aber auch Fragen zur Kostenregelung häufiger als vor Beginn der Pandemie thematisiert.
Auch in der Nachfrage nach Beratungen nach §219 StGB konnte der Großteil der Befragten während der Pandemie keine nennenswerte Veränderung feststellen. Jedoch hatten Beraterinnen und Berater von Beratungsstellen der Gesundheitsämter und kommunalen Träger häufiger als andere Beratende einen Rückgang zu verzeichnen, während Beraterinnen und Berater von donum vitae und pro familia/Parität. häufiger von einer Zunahme der Beratungsnachfrage berichteten.
Beratungsformate
Auch die Formate, in denen Beratungsangebote realisiert wurden, haben sich unter der Pandemie verändert. Während einer typischen Arbeitswoche im März 2021, also während des Lockdowns, wurden Allgemeine Schwangerschaftsberatungen am häufigsten per Telefon, Beratungen nach §219 StGB hingegen am häufigsten in Präsenz geführt (vgl. Abbildung 3). Videoberatungen fanden in beiden Beratungsbereichen nur eine geringe Nutzung.
Herausforderungen im professionellen Handeln
Nicht unterschieden nach Allgemeiner Schwangerschaftsberatung und Beratung nach §219 StGB zeigte sich eine allgemeine Zufriedenheit mit den unterschiedlichen Beratungsformaten. Am besten schneiden die Videoberatung mit 27 % sehr zufrieden und die Präsenzberatung mit 26 % „sehr zufrieden“ ab. Die Telefonberatung beurteilten 19 % mit „sehr zufrieden“ – zusammen mit denjenigen, die eher zufrieden waren, liegen die Anteile jeweils bei ca. drei Viertel der Befragten (Präsenzberatung: 76 %, Telefonberatung: 74 %), lediglich die Videoberatung wird mit 84 % höher eingestuft.
Welche Unterschiede zwischen den Beratungsformaten lassen sich hinsichtlich Methodik, Settings- und Beziehungsgestaltung ablesen?
Das Stimmungsbild zu einer Reihe vorgegebener Aussagen macht deutlich, dass die Formate von Berater*innen hinsichtlich ihrer Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten unterschiedlich wahrgenommen wurden. Während das Umfeld im Videoformat besser kontrollier- und einsehbar war, wurde es gleichzeitig als störanfälliger gegenüber dem Telefonformat beschrieben. In Sachen Gesprächsdynamik und nonverbaler Kommunikation, aber auch assistierter Gesprächsführung und Anwesenheit Dritter wurde die Telefonberatung deutlich schlechter bewertet als die Videoberatung. Einig waren sich die Berater*innen, dass Telefon- und Videoberatungen sehr viel Zeit für Vor- bzw. Nachbereitungen erforderten, hier lag die Zustimmungsrate bei 51 resp. 55 %.
Auch für Präsenzberatungen wurden Aussagen getroffen, die auf Limitationen wegen Hygienevorschriften und Kontaktbeschränkungen verweisen. So stimmten 52 % der Aussage vollkommen oder eher zu, dass die Hygienemaßnahmen störend auf den Beratungsprozess und insbesondere auf die Wahrnehmbarkeit von Emotionen wirkten, 58 % bestätigten die fehlende Option einer anwesenden Vertrauensperson im Beratungsgespräch.
Angebote der Sexuellen Bildung während der Pandemie
94,5 % aller befragten Fachkräfte der Sexuellen Bildung berichteten einen Rückgang der Nachfrage nach Gruppenangeboten zur Sexuellen Bildung während der Pandemie, 86,6 % sprachen von einem deutlichen Rückgang. Dabei handelt es sich um ein trägerübergreifendes Phänomen.
Die Umsetzung von sexualpädagogischen Veranstaltungen konnte dennoch von einem Teil der Befragten aufrechterhalten werden: neben Präsenzveranstaltungen unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen waren das vor allem Onlineformate. Der Anteil an Befragten, die mindestens eine Online-Veranstaltung durchgeführt hatten, lag mit 41,8 % knapp unter dem Anteil derer, die mindestens eine Präsenzveranstaltung durchgeführt hatten (42,1 %).
Mit Präsenzveranstaltungen konnten im genannten Zeitraum vor allem Jugendliche, aber auch Kinder erreicht werden (vgl. Abbildung 4). Mit digitalen Angeboten wurden jedoch am häufigsten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren erreicht – 3-mal häufiger als Jugendliche und fast 5-mal häufiger als Kinder. Dieser Effekt zeigte sich alters-, träger- und regionenübergreifend. Weitere Zielgruppen, die während der Pandemie nahezu gar nicht von Angeboten der Sexuellen Bildung erreicht wurden, waren Menschen mit Fluchthintergrund und Menschen mit Behinderungen (MmB).
Veröffentlichungen
Böhm, M. & Wienholz, S. (2022).Schwangerschaftsberatungsstellen im pandemiebedingten Wandel. Auf dem Weg in eine digitalisierte Zukunft? FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 1. Im Druck
Böhm, M., Krolzik-Matthei, M. & Urban, M. (2021). Zwischenergebnisse der Studie „Schwangerschaftsberatung während der Covid-19-Pandemie aus Sicht von Beratungsfachkräften, pro familia magazin, 01, 15-20. Artikel im pro famililia magazin lesen
Böhm, M., Licht, J., Krolzik-Matthei,K. & Urban, M. (2020). Das Forschungsprojekt „Schwangerschaftsberatung während der Covid-19-Pandemie aus Sicht von Beratungsfachkräften", FORUM Sexualaufklärung und Familienplanung: Informationsdienst der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 2, 42-43. FORUM-Artikel lesen
Krolzik-Matthei, K., Wienholz, S., Licht, J. & Böhm, M. (2021). „Chancen und Herausforderungen von Schwangerschaftsberatung und Sexueller Bildung unter Pandemiebedingungen“. TUP Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, 72. Jg. Heft 3/2021: 211-219.